Reisebericht September / Oktober Kanada / Alaska

01.09. - 05.10.2018 Dawson City - Inuvik - Tok - Denali NP - Anchorage - Homer - Seward -
                                     Whitehorse - Fort St. John - Saskatoon - Winnipeg - Montréal - Halifax
Dempster Highway
Für unsere letzte grosse Herausforderung auf dem nordamerika- nischen Kontinent trennen uns  nur noch ein paar Kilometer. Je näher wir nach Dawson City kommen, desto mehr stellen wir uns die Frage: "Schaffen wir und das Auto diese lange Strecke bis nach Inuvik, oder sogar bis nach Tuktoyaktuk?" Was wir von anderen Reisenden über den Dempster Highway hörten, lässt sich nicht in machbar oder kaum zu bewältigen einteilen. Je nach Wetter, Jahreszeit, Strassen- und Fahrzeugzustand  wird eine solche Strecke zur echten Herausforderung. Sie kann Mensch und Fahrzeug durchwegs überdurchschnittlich beanspruchen und herausfordern. In den vergangenen Jahren haben wir immer wieder anspruchsvolle Strecken gut bewältigt, aber noch keine in dieser Länge. Bis nach Inuvik sind es 736 Kilometer. Wie weit ist das wirklich? Eine einzige Stichstrasse in dieser Grössenordnung ist auch für uns neu. Schliesslich muss man die gleiche Stecke wieder zurückfahren. Wir haben uns entschieden,  den Dempster Highway mit der nötigen Vorsicht und  ohne Zeitdruck zu fahren. Die Lebensmittel reichen für über eine Woche und das Trinkwasser für die nächsten Tage.

1. Tag auf dem Dempster Highway
Am Morgen liegt der Nebel tief über Dawson City. Die Naturstrassen in der Stadt sind nass und da und dort matschig. Dies wird auch so bleiben, denn in Dawson City gibt es keine Asphaltstrassen und  die Trottoirs sind mit Holzbrettern ausgelegt. Alte Häuser werden renoviert. Das Palace Grand Theater aus dem Jahre 1899 ist im 2017 frisch  renoviert worden. Auch das alte Postgebäude erscheint in neuem Glanz. Der Camping Gold Rush in der Stadt ist gut besetzt. Gleich mehrere Fahrzeuge wollen heute in die Wildnis aufbrechen. Von Dawson City bis zur Abzweigung auf den Dempster Highway sind es nur 40 Kilometer Asphaltstrasse. Mit viel Respekt biegen wir auf die Gravelroad ein. Bereits nach  200 m gibt es die ersten Infotafeln zur Geschichte  und Tierwelt des Dempster Highways. Dann überqueren wir den Klondike River und kurze Zeit später hat uns die Wildnis bereits verschlungen.
Regine hat die „The Milepost“ auf den Knien. Auf über 700 Seiten (etwas grösser als A4 Seiten) sind die wichtigsten Reiserouten in Nordkanada  in allen Details exakt beschrieben. Jede Tafel am Strassenrand, die umliegenden Berge und Landschaften, Brücken und gefährliche Strecken, jedes Haus und Gebäude, Flüsse, Flora und Fauna und noch vieles mehr,  werden nach den Distanzen der Meilenschildern exakt beschrieben. „The bible of North Country travel“ umfasst die Gebiete Alaska, Yukon, British Columbia, Alberta und Northwest Territories.
Auf den ersten 120 km sind die Grader, die Pistenplanier-Fahrzeuge, häufig am Arbeiten, um die vielen grossen Schlaglöcher und Spurrillen auszubessern. Wir fahren über den North Fork Pass, 1333 m, bei leichtem Regen. Als die ersten Sonnenstrahlen die Landschaft beleuch- ten, staunen wir ab der gewaltigen Farbenvielfalt. Die Farbtöne rot, braun, orange, grün, gelb und schwarz in den unterschiedlichsten Ab- stufungen dominieren um uns herum. Ab und zu kommt uns ein Fahr- zeug entgegen oder überholt uns, doch der Verkehr ist sehr spärlich. Nach 194 km suchen wir auf dem Engineer Creek Campground einen Platz zum Übernachten. Der Primitiv-Camping hat nur 8 Plätze und eine Toilette. Auf dem matschig nassen  Boden, aufgeweicht durch den Regen, machen wir keinen Schritt zu viel. Der Dreck klebt uns an den Schuhen während wir Thomas und Karin aus Österreich auf dem Stellplatz neben uns begrüssen. Nach dem Nachtessen laden uns Thomas und Karin zu einem Drink ein. Wir verbringen einen gemütlichen Abend in ihrem schönen Expeditions-Reisemobil. Danke!
2. Tag auf dem Dempster Highway
Wir machen uns nach 9 Uhr auf den Weg. Wir wollen bis nach Eagle Plaine fahren und haben so rund 175 km zu bewältigen. Die Piste ist über längere Strecken nass und matschig und wir sind froh, dass wir mit 4x4 nicht stecken bleiben. Ein leichter Niesel- regen begleitet uns, später beginnt es zu schneien. Die Land- schaft um uns herum erscheint in weiss, die Spruce Bäume sind Schnee behangen. Die Strecke führt uns zum Teil kurvenreich, mal bergauf, mal bergab durch die gewaltige, endlose  Wildnis.
Pausenlos weichen wir den grössten Schlaglöchern aus, wir sind langsam unterwegs. Die Gravelroad kann man nicht verlassen, da sie auf einem Damm gebaut wurde. Der Permafrost verlangt hier eine besondere Strassenbautechnik. Am Nachmittag zeigt sich stellenweise der blaue Himmel und die Sonne beleuchtet immer mehr die Landschaft. Unterwegs treffen wir einen einsamen  Velo- fahrer aus Asien mit Gepäck, der den Dempster Highway meistern will. Eine sehr harte Angelegenheit bei Schnee und der matschigen Piste. "Wie weit kommt er heute", fragen wir uns. Zwei Motorrad- fahrer, ein paar Lastwagen, Baustellenfahrzeuge, Truck Campers und PKWs  sind ebenfalls auf der Strecke anzutreffen. Alle Fahrzeuge sind mit einer dicken Dreckschicht überzogen.
Gegen 17 Uhr erreichen wir  bei Kilometer 369 den sehr kleinen Ort Eagle Plaine. Ein Hotel mit Restaurant, Campingplatz mit Strom und Dusche, sowie eine Tankstelle versorgen die Reisenden mit dem Allernötigsten. Auf dem Campground stehen bereits zwei Fahr- zeuge. Gegen 21 Uhr sind es bereits 15 Fahrzeuge, zum Teil mit Trailer. Heute haben wir geduldig die 2. Etappe zurückgelegt, der grösste Teil im 4x4 Modus. Regines Frage: „Was suchen wir in dieser einsamen Wildnis“, ist berechtigt. Die Hälfte der Stecke bis Inuvik haben wir geschafft.
Zur Überraschung stellen wir fest, dass die meisten Truck Camper und Reise- mobile von Deutschen und Schweizern gemietet sind. Sie sind im Norden von Kanada – Alaska unterwegs und wollen den Dempster Highway fahren. So kommen wir auch hier in dieser abgelegenen Wildnis mit Reisenden ins Gespräch. Unser Interesse gilt dem Pistenzustand auf den nächsten 400 Kilometern. Während Regine das Nachtessen zubereitet, wische ich den gröbsten Dreck vom Fahrzeug, so dass wir morgen durch die Windschutz- scheibe sehen und ein- und aussteigen können, ohne dreckig zu werden. Zur späten Stunde stellt ein junger Deutscher sein gemietetes Reisemobil direkt neben uns ab. Das Fahrzeug ist allseitig mit einer dicken Dreck- schicht bedeckt. Nur zwei Gucklöcher an der Windschutzscheibe,  dort wo die Scheibenwischer für Sicht sorgen, sind nicht verdreckt. Auf unsere Frage, in welchem Zustand die Piste auf den nächsten 400 Kilometern nach Inuvik ist, meinte er lachend: „ Zwischen der Fähre am Peel River und der Fähre am Mackenzie River, ca. 60 km, ist die Piste ein wenig besser!“
3. Tag auf dem Dempster Highway
Wir tanken Diesel auf und nehmen die nächste Etappe unter die Räder. Es ist windig und kalt. 36 Kilometer nach Eagle Plains erreichen wir den nördlichen Polarkreis (Arctic Circle). Nördlich des 66. Breitengrades befindet sich das Land der Mitternachtssonne. Schautafeln  beschrei- ben  das Phänomen und erläutern die Flora und Fauna in der Tundra. Für ein Foto-Shooting ist es zu kalt und  zu windig. Aber auf das obli- gate Foto vom nördlichen Polarkreis wollen wir nicht verzichten. Als wir über den Wright-Pass fahren, 960 m hoch, beginnt es zu schneien. Auf der Strasse liegt eine nasse Schneeschicht. Tja, jetzt sehen wir die Schlaglöcher noch weniger gut und die Strasse ist noch rutschiger. Mit etwa 20 – 25 Kilometer in der Stunde kommen wir voran.
Nach der Grenze Yukon – Northwest Territories wird die Piste ein wenig bes- ser. Sie hat weniger Schlaglöcher und ist trockener, so dass wir mit 30 – 35 km/h fahren können. Bei Kilometer 539 blicken wir auf den Peel River, ein breiter Fluss, der sich durch die Tundra windet. Ein dickes Stahlseil, das an beiden Ufern befestigt ist, führt durch den kleinen Maschinenraum der Fähre. So kann sie nicht durch die Flussströmung abgetrieben werden. Je nach Wasserstand des Flusses ist die Auf- und Abfahrt auf die Fähre schwierig.
Wir haben Glück und können gut auf die Fähre fahren. Noch vor Tagen, so berichteten uns Reis- ende, sei die Fähre wegen Hochwasser nicht ge- fahren. Die Überfahrt dauert nur etwa fünf Minuten und ist gratis. Schnee und Regen verhindern, dass wir die schöne Flusslandschaft fotografieren können. Vielleicht haben wir mehr Glück bei der Rückreise.
Der kleine Ort Fort McPherson mit ca. 800 Einwohnern bei Kilometer 550 besuchen wir nicht. Es regnet und die Strasse ist matschig. Bis zur nächsten Fähre am Mackenzie River sind es nur 58 Kilometer. Die Piste ist trotz Regen in gutem Zustand, so dass wir sie in etwas mehr als einer Stunde zurücklegen können. Mit der Fähre über- queren wir den breiten Fluss. Nach Navi-Angabe ist der Mackenzie River hier ca. 900 Meter breit. Noch ist es taghell. Ein leichter Schneefall und tiefe Wolken verhindern, dass wir die Landschaft und die Berge um uns herum sehen können. Wir sind auf der Suche nach einem Übernachtungsplatz.
Doch das ist nicht so einfach, besonders bei diesem nassen Wetter. Man kann die Dempster Piste nicht einfach verlassen, da sie auf einem Damm gebaut ist. Wir halten Ausschau und hoffen auf einen Baustellenplatz, der uns eine Abfahrt von der Piste ermöglicht. Etwa 30 Kilometer nach Tsiigehtchic werden wir fündig. Eine für uns fahrbare Strassenabzweigung zu einem alten Baustellenplatz er- laubt es uns, ca. 60 Meter von der Piste entfernt, unseren Camper abzustellen. Es schneit nicht mehr, Strasse und Bäume sind aber Schnee bedeckt. Um 21.45 Uhr ist es immer noch hell. Eine unglaubliche Stille legt sich über unseren einsamen Übernach- tungsplatz. Nur einzelne Tanklastwagen, die Inuvik mit Treibstoff versorgen, sind noch nachts unterwegs. Von hier sind es ca. 90 Kilometer bis Inuvik. Sofern wir morgen nicht eingeschneit sind, könnten wir die Strecke schaffen.
 4.Tag auf dem Dempster Highway
Über Nacht hat es geschneit. Die Umgebung ist weiss. Regine schaltet die Heizung ein und in der Kabine wird es herrlich warm. Am frühen Morgen hatten wir 5 Grad im Camper. Regine blickt durchs Fenster und entdeckt einen Luchs, der um unser Fahrzeug streift. Kaum hört er Geräusche aus der Kabine, geht er zurück in den Wald. Ein feiner Kaffee- duft breitet sich in der Kabine aus und wir werden langsam wach. Nach dem Frühstück frägt sich Regine, als sie aus dem Fenster blickt: „Was suche ich hier in dieser Wildnis?“ Tja, wenn man sich mit Walter auf ein Abenteuer einlässt, bleiben Überraschungen nicht aus.
Die letzten 97 Kilometer bis nach Inuvik fahren wir sehr gemütlich. Die Strasse ist Schnee bedeckt und die Schlaglöcher weniger gut sichtbar. Etwa 20 Fahrzeuge begegnen uns bis nach Inuvik, alle kaum zu erkennen, welche Farbe sie haben. Am Mittag erreichen wir Inuvik bei Schneefall. Ab und zu gibt es ein paar Sonnenstrahlen, die uns Hoffnung geben. Für die Rückreise in den nächsten Tagen ist die Wetterprognose etwas besser. Am Nachmittag suchen wir zuerst eine Waschanlage in der Stadt, so dass wir wieder unsere Farbe am Camper sehen.
Der Taxifahrer, der mit seinem verdreckten Fahrzeug am Waschplatz wartet, bis wir fertig sind, fragt uns, ob wir nach Tuktoyaktuk fahren? Er meint, die Strasse sei sehr, sehr  schlecht und habe viele Schlaglöcher. Für uns würden die 144 km einen weiteren Tag bedeuten und dann müssen wir auch wieder zurück. Andere Reisende bestätigen uns den sehr schlechten Pistenzustand. Die neue Strasse wurde dieses Jahr fertiggestellt und eröffnet. Sie endet   an der Beaufort  Sea, einsam und verlassen in der Wildnis. Wir verzichten auf die Fahrt nach Tuktoyaktuk, auch deshalb, weil es dort nichts zu sehen gibt und unser Abenteuerhunger gestillt ist.
Anschliessend fahren wir zu sehr schönen Bibliothek, die am Sonntag auch von 13 – 17 Uhr geöffnet ist und ein gutes Internet hat. Beim Eingang in die Bibliothek ziehen alle Besucher die Schuhe aus und betreten die Räumlichkeiten mit den Socken. Die Bibliothek ist gut besucht. Kinder, Jugendliche und Erwachsene sind am Spielen, Lesen oder sitzen vor dem PC-Bildschirm und blicken so  in die weite Welt hinaus. Tja, von Inuvik kann man nicht einfach schnell ins Nachbardorf in den Ausgang gehen. Der nächst grössere Ort ist Dawson City und liegt 771 Kilometer entfernt.   
Mit Hilfe einer Aufsichtsperson kommen wir rasch ins Internet. Priska schickt uns Fotos von zuhause. Die geernteten  Äpfel und Birnen sind eine Augenweide hier in der Wildnis. Nachdem wir alle Mails gecheckt haben fahren wir auf den Camping Happy Valley Territorial Park. Der Campground liegt in der Stadt und hat eine hervorragende Infrastruktur. Strom, heisse Duschen, geheizte Räume und eine perfekte Laundry, alles in sehr gepflegtem Zustand. Für um- gerechnet SFR  22.- pro Tag kann man hier Ferien machen! Dass der Boden auf dem Camping nach dem Schneefall und Regen aufgeweicht ist, versteht sich. Der Camping ist gut besucht, man trifft sich wieder nach der langen Anfahrt. In der Zwischenzeit ist es in unserer Kabine angenehm 20 Grad und die sauberen Fenster lassen uns wieder nach draussen blicken. Das Wetter wird am Abend freundlicher! Das Thermometer in der Stadt Inuvik zeigte 0 Grad an.
Die Aussenstation Inuvik ist die grösste kanadische Siedlung nördlich vom Polarkreis. Der Ort hat ca. 3'800 Einwohner, vor allem Déné-Indianer, Inuits und Weisse prägen das Stadtbild. Inuvik ist die drittgrösste Stadt in den Northwest Territories, das mit 1'346'000 Quadratkilometer mehr als 31-mal grösser ist als die Schweiz. Inuvik liegt ein paar Kilometer südlich der Mündung des Mackenzie River. Die Stadt wurde 1955 als Verwaltungs- zentrum der Regierung gebaut. Die neue Stadt, mit Permafrost sicheren, oberirdischen Versorgungsleitungen ersetzte die alte Stadt Aklavik. Diese in einer engen Flussschleife versinkende alte Stadt hat aber immer noch ca. 700 Einwohner.
Wenn von Ende Mai bis Ende Juli die Sonne in Inuvik nicht untergeht, sind die Besucher zahlreicher und der Dempster Highway vielleicht ein bisschen trockener. Die Fähren bei Fort McPherson und Tsiigehtchic sind nur von Juni bis Mitte Oktober in Betrieb. Dann braucht es Geduld, bis die Flüsse zugefroren und die Fähren durch Eisbrücken ersetzt werden. In der Über- gangszeit kann der Verkehr zum Erliegen kommen. Dass diese Strecke über 736 Kilometer auch im Winter offen ist, können wir kaum glauben. Der Dempster Highway wurde erst 1978 fertig gestellt. Die Bauarbeiten dauerten rund 20 Jahre. Die meist einspurige Gravelroad mit breiten Ausweichstellen wurde in der Routenführung meist der Topographie angepasst.
Die schweren Lastwagen, die die Stadt Inuvik versorgen, hinter- lassen bei aufgeweichter Piste entsprechende Spurrillen. Die Strasse wurde erhöht und auf einem Damm gebaut. Sie hat eine isolierende Schotterschicht über dem Permafrostboden. Abseits der Strasse kann das Fahrzeug sehr leicht einsinken. Eine Abfahrt von der Fahrbahn ist nur an den vorgesehenen, dafür gebauten Ausfahrten möglich.
Am Abend kommen Karin und Thomas zurück von Tuktoyaktuk und bestätigen uns die sehr schlechte Piste zum Ozean. Wir dürfen wieder bei ihnen im Fahrzeug einen sehr schönen und gemütlichen Abend verbringen. Herzlichen Dank!

5.Tag Inuvik
Am Morgen ist es trocken, teilweise zeigt sich der blaue Himmel. Regine geht mit der Wäsche zur Camping Laundry und ich arbeite an der Homepage. Später treffen wir Bruno und Manuela aus Biel, die mit einem deutschen Ehepaar unterwegs sind. Sie sind heute von Tuktoyaktuk nach Inuvik zurückgefahren und brauchten für die 144 km gute 5 Stunden. Die Strasse sei wirklich sehr schlecht, bestätigte Bruno. Am Nachmittag beginnt es zu regnen und auch am Abend will es noch nicht trocken werden.
6.Tag Dempster Highway Inuvik – Arctic Circle
Am Vormittag besuchen wir Inuvik und ergänzen unsere Lebens- mittel für die Rückreise. Leider sind das Visitor Center und die be- kannte Igloo-Kirche „Our Lady of Victory“ geschlossen. Am Mittag besuchen wir noch den kleinen Flughafen Inuvik. Eine Handvoll Touristen mit Reisegepäck sind gerade am Einchecken. Tja, hier geht es wirklich noch gemütlich zu und her. Am Nachmittag zeigt sich immer mehr der blaue Himmel und gegen Abend ist es wolken- los. Die Sonne beleuchtet die grossartige Tundra-Landschaft in allen Farben. Endlich haben wir einmal eine trockene Piste.
Beide Fähren sind noch in Betrieb, so dass wir auch zur später Stunde noch fahren können. Es ist noch lange tag- hell. Wieder sind wir einsam unterwegs, der Verkehr hat sich auf ein paar wenige Fahrzeuge reduziert. Wir blicken in die riesige Weite der traumhaften Tundra und entdecken etwa 100 Meter von uns entfernt einen Grizzly. Wir halten an, stellen den Motor ab und bestaunen das grosse Tier. Er läuft mit zügigen Schritten durch Gras und Büsche zu unserem Fahrzeug. Wir wollen fotografieren, aber es ist bereits zu dunkel.

Etwa 20 Meter hinter unserem Fahrzeug  steigt er auf die Strasse, blickt kurz zurück und trottet entlang der Strasse von unserem Fahrzeug weg. Bestimmt ist er auf Beeren- suche. Bei der Hinfahrt nach Inuvik haben wir einheimische Frauen gesehen, die mit Körben in der Tundra unterwegs waren. Gegen 22 Uhr beginnt es leicht zu regnen und die Landschaft verschwindet im Nebel. Eine Stunde später erreichen wir den Arctic Circle, ein guter ebener Platz zum Übernachten. Nach dem Nachtessen wird es Zeit zum Schlafen. Um 23 Uhr wird es auch hier dunkel.
7. Tag Dempster Highway Arctic Circle – 30 km südlich Engineer Creek
Am Morgen blicken wir aus dem Fenster und waren überrascht, als unweit von uns ein Iglu-Zelt und PW stand. Die jungen Leute frühstückten an einem Picknick-Tisch. Die waren gestern Abend noch nicht hier als wir ankamen. Als wir beim Frühstück waren, kamen die ersten Motorradfahrer und Camper Fahr- zeuge, um bei den Infotafeln am Arctic Circle das obligate Foto zu machen. Gegen 9 Uhr machen wir uns wieder auf den Weg. Der Strassenzustand wechselte häufig. Von sehr matschig, zu Schlag- löchern in allen Grössen und Tiefen, bis fast zur trockener Piste.
Für unser Fahrzeug gab es drei Richtgeschwindig- keiten: sehr, sehr schlechte Piste bedeutete für uns 10 - 15 km/h, schlechte Piste mit Schlaglöchern  15 – 25 km/h, gute, aber nasse Piste 30 – 40 km/h. Oberstes Ziel für uns, wir wollen unseren Camper ohne Schaden zurückbringen. Gegen 14 Uhr wird das Wetter besser und die Sonne beleuchtet eine sehr schöne Landschaft, mit verschiedenen Brauntönen, gelb, orange und grün. Die Birkenwälder, aber auch einzelne Bäume stehen leuchtend in der Landschaft. Die fantastische Bergwelt, vor vier Tagen noch in Nebel gehüllt, präsentiert sich vor dem blauen Him- mel in schönster Pracht. Die Frage von Regine, was wir in dieser abgelegenen Wildnis suchen, wird überflüssig!
Unterwegs kommen uns zwei junge Frauen zu Fuss, mit einem 3-rädigen Transportwagen, entgegen. Sie sind aus California und haben am  1. Juni 2018 ihre Wanderung in Skagway gestartet. Zu Fuss über den Chilkoot  Pass Trail (die alte Goldgräberroute aus dem Jahre 1897/98), dann nach Whitehorse und jetzt sind sie auf dem Dempster Highway nach Inuvik, resp. nach Tuktoyaktuk unterwegs. Wir haben Zeit und plaudern mit ihnen. Sie freuen sich, wenn nicht alle Fahrzeuge an ihnen vorbeidonnern und sie mit einer drecknassen  Staubwolke eindecken. Wenn es gut läuft, dann schaffen sie 18 – 30 Kilometer im Tag. Die Wasser- und  Lebensmittel-Logistik benötigt eine gute Planung. Ihr Reise-Transportwagen wiegt ca. 40 Kilogramm und ist auf weicher Piste anstrengend zum Stossen, resp Ziehen. Bis nach Tuktoyaktuk sind es 880 Kilometer. Ob sie diese Strecke noch im September schaffen werden? Auf ihrem Wagen liegt ein kleines Solarpanel, das ihr Handy aufladen kann.
Wie sie den Wagen zu Fuss durch die langen tief- matschigen Dreckabschnitte durchbringen wollen, ist uns noch ein Rätsel. Aber sie werden es bestimmt schaffen.  Die aufgestellten jungen Frauen wollen wirklich etwas Aussergewöhnliches durchziehen. Hut ab! Ich verrate und zeige ihnen einen guten  Trick, dass die Fahrzeuge auf dem Dempster Highway, sei es von hinten oder vorne, nicht mehr an ihnen vorbeirasen und sie mit Dreck zudecken. Sie können am Abend ja nicht unter eine Dusche stehen. Gleich darauf kommt ein grosser Sattelschlepper und ich demonstriere ihnen unseren Trick. Der Lastwagen bremst stark ab und fährt anständig, langsam  an uns vorbei und wir bleiben sauber. Geht doch! Überglücklich über diesen Tipp machen sie sich lachend auf den Weg. Gut zu wissen, wie’s geht! Gegen 21 Uhr, als die Sonne langsam hinter dem Horizont verschwindet, finden wir einen grossen, ebenen und trockenen Baustellenplatz zum Übernachten. Die letzten Sonnenstrahlen am Berg hinter uns speichern wir ab.
8. Tag Dempster Highway – zurück nach Dawson City
Wir verbrachten eine sehr ruhige Nacht. Als wir um 8 Uhr wieder unterwegs sind, regnet es leicht. Wir haben uns daran gewöhnt. Unterwegs passieren wir eine grössere Baustelle. Wir halten an und interessieren uns für das Bauwerk. Zur Überraschung be- grüsst uns ein Bauarbeiter aus dem Kanton Bern in Schweizer- dialekt. Er arbeitet als Mechaniker auf Baustellen am Dempster Highway. Hier müssen sie eine neue, grosse Röhre mit einem Durchmesser von 6,5 Meter einbauen, damit  im Frühling das Schmelzwasser nicht die Strasse fortreisst.
Die vier bereits eingebauten kleineren Wasserröhren ver- mögen das Schmelzwasser nicht abzuführen und die Strasse wird überflutet. Die grosse Röhre wird bis auf das Eis hinunter eingebaut, isoliert und mit einer Schotterschicht zugedeckt. Strassenbau im Permafrost. Zurzeit montieren sie 4'500 Schrauben  um die Rohrteile zusammenzubauen. Sie müssen sich beeilen, denn er meint, in 10 Tagen könnte es hier bereits Minus 20 Grad kalt sein. Er erklärt uns, dass die Stadt Inuvik nur für ca. 10 Tage Diesel- und Öl-Reserven besitzt. Die Strasse ist auch im Winter für die Versorgung offen. Im Winter sind auf dem Dempster Highway Tag und Nacht zahlreiche Schneeräumungsfahrzeuge an der Arbeit um die Versorgung sicherzustellen.
Am Nachmittag auf dem letzten Streckenabschnitt haben wir gutes Wetter und erfreuen uns der schönen Landschaft mit den traumhaften Farben. Tja, so müsste man den Dempster Highway 7 Tage geniessen können, dann gäbe es keine Fragen von Regine, was wir in dieser Wildnis suchen! Die letzten 160 Kilometer dürfen wir ausnahmsweise auf mehr oder weniger trockener Piste zurücklegen. Aus dem Navi ermittelt Regine unsere Durchschnittsgeschwindigkeit für die Hin- und Rückfahrt. Für die 1'472 Kilometer beträgt sie 27,7 Kilometer pro Stunde. Etwas ausserhalb Dawson City suchen wir eine Waschanlage auf. Mit dem Hochdruck- strahl reinigen wir unser Fahrzeug besonders gründlich, bevor der Pistendreck eintrocknet und hart wie Beton wird.
Der Camping in Dawson City ist immer noch sehr gut besetzt. Am Abend gehen wir in die Diamond Tooth Gerties Gambling Hall, wo wir die Can-Can-Shows aus der guten alten Zeit geniessen. Von der Galerie aus haben wir einen sehr interessanten Überblick auf den Casinoraum. An verschiedenen Spieltischen wird Roulette, Poker und Black Jack „gezockt“. Während bei den meisten Spielern der Jeton-Berg immer kleiner wird, bis sie alles verspielt haben, tragen einzelne Spieler einen Gewinn nach Hause. Auch die einarmigen „Banditen“ füttern die Besucher fleissig, doch meist verlassen die Spieler die klingenden Kästen nach kurzer Zeit wieder.
Vor 8 Jahren waren wir das erste Mal in der Gambling Hall und erhielten einen kleinen Einblick in die guten alten Goldrausch-Zeiten von Dawson City. Nun sind Regine und ich 8 Jahre älter geworden, aber die Sänger und  Tänzerinnen, so scheint es uns, haben nicht gealtert. Mit Tempo, Eleganz und Grazie zeigen sie ihr Können zur passenden Live-Musik. Nach der zweiten Show-Einlage gehen wir auf den Camping zurück und heizen unsere Kabine auf. Die Nächte in Dawson City sind schon recht kalt. Ein kleiner Rundgang durch Dawson City lässt den Besucher ein wenig Klondike Goldrush Feeling spüren. Wir spazieren am Yukon River entlang.
Vorbei am alten Dampfer „Keno“, bestaunen wir das neu reno- vierte Theater und Postgebäude. Dawson City ist sehr gut dokumentiert über ihre vergangene Geschichte. Spaziert man heute durch den ruhigen  kleinen Ort, können wir uns kaum vor- stellen, dass es einmal anders war. Die Meldung vom Reichtum in der Stadt bewegte die äussere Welt so sehr, dass bereits zwischen Juni und September  im Jahr 1898,  57 Dampfschiffe mit über 10'886 Tonnen Ladung in Dawson City anlegten. Ein Jahr später waren 60 Dampfschiffe, 8 Schlepper und 20 Lastkähne auf dem Fluss unterwegs. Eine wichtige, neue Industrie zur Ver- sorgung der Dampfschiffe wurde am Fluss entlang aufgebaut.
Holzlager wurden am Ufer des Flusses angelegt, um die holzge- feuerten Dampfkesseln zu schüren. Diese Verträge beliefen sich jährlich auf Tausende von Dollar und beschäftigten viele Männer. Auf jeder Fahrt von Dawson City nach Whitehorse verbrauchte ein Dampfer, je nach Grösse, ungefähr 120 Klafter Holz, bei einer Länge von 1,20 Meter pro Stamm. Ein halbes Jahrhundert lang verkehrten die Dampfschiffe zwischen Whitehorse und Dawson City und zwischen St. Albert, Alaska und Dawson City. Die Wasserstrasse von etwa 2'736 Kilometer Länge öffneten den kanadischen Westen und den Norden. Die Einwohnerzahl in Dawson City wuchs im Jahre 1898 auf über 30'000 Leute an und war damals die grösste Stadt nördlich von Vancouver. Tausende Abenteurer und Glückssucher gaben sich den Entbehrungen der Wildnis hin, um in den Bächen, die dem Klondike Fluss zufliessen, nach Gold zu suchen. Tja, wenn man hier in die Geschichte eintaucht, wird es spannend für uns.
Wir verlassen Dawson City, überqueren mit der Fähre den Yukon River und fahren gemütlich auf der Gravelroad „Top of the World Highway“. Die Strasse verläuft meist auf den Bergkämmen entlang und gibt uns pausenlos den Blick frei in die Weite des menschenleeren Landes. Später passieren wir den einsamen Grenzübergang Little Gold Creek / Poker Creek, der nur von Mai bis Mitte September geöffnet ist. Nun sind wir in Alaska unterwegs auf dem Taylor Highway nach Chicken und Tok. Dann führt uns der Alaska Highway nach Fairbanks. Von dort erreichen wir auf dem Parks Highway  den Denali National Park. Die Wetterprognose ist für die nächsten Tage hervorragend. Blauer Himmel, Son- nenschein und so warm, dass wir im T-Shirt den Denali NP, Anchorage, Kenai und Homer besuchen können. Tja, dieses Wetter hätten wir gerne auf dem Dempster Highway gehabt.
Im Denali NP Visitor Center buchen wir um 6 45 Uhr die  8-stündige Bustour nach Eielson.  Auf dieser Shuttlebus-Tour fahren wir  rund 100 km in den Park hinein. Wir erblicken das gewaltige, weisse Bergmassiv, den Denali, 6'168 m hoch, im  wolkenlosen blauen Him- mel, was eine Seltenheit ist. Der höchste Berg Nordamerikas, immer Schnee bedeckt, hat wirklich gewaltige Ausmasse, auch wenn wir den Berg aus der Distanz sehen. Sicher ein Höhepunkt  der Tour waren die 3 Grizzly Bären mit 4 Jungtieren, die so fressgierig durch die Beerensträucher streiften, dass sie dem Shuttlebus keine Aufmerksam schenkten.
Der Winter naht und sie müssen genügend Reserven für ihren Winterschlaf haben. Karibus, Dallschafe und Greifvögel ent- deckten wir ebenfalls in der farbigen Bergtundra und den schönen Flusslandschaften. Gelbe Birkenwälder, die ungehinderte Sicht auf die Alaska Range, die Fahrt über den Polychrome Pass, wo wir steil in die tief unter uns liegende Tundra blicken, bleibt unver- gesslich. Bei solchem Wetter diese unberührte  Naturlandschaft erleben zu dürfen, ist einmalig. Mitten in der offenen Tundra geht es über den Highway Pass, der mit 1'213 Meter Höhe ein spektakuläres Panorama freigibt, das kaum zu überbieten ist. Nach gut 8 Stunden Fahrt mit zahlreichen Zwischenstopps und vielen Informationen vom Driver über die Flora und Fauna im National Park sind wir am Abend recht müde.
Wir fahren später mit unserem Camper Richtung Süden. Etwa  20 km vor der Abzweigung zum Denali Highway, finden wir einen traumhaften Übernach- tungsplatz auf einer stillgelegten Strasse direkt am Nenana River. Vier Reisemobile sind schon abge- stellt, etwa 50 Camper hätten noch Platz. Die grosse, breite Flusslandschaft ermöglicht uns, Polarlichter zu sehen. Die Aurora Borealis, wie die zarten Lichtspiele am nächtlichen Himmel genannt werden, sehen wir wirklich. Allerdings nicht so farbig, wie wir das von den Fotos her kennen. Beim genaueren Hinsehen entdecken wir die schleierähnlichen Gebilde, die sich am nächtlichen Himmel bewegen. Sie tauchen auf, bewegen sich und verschwinden wieder. Die Polarlichter bewegen sich schnell und verändern laufend das äussere Aussehen. Auch die vor uns stehenden Camper Touristen standen auf der Strasse und bestaunten das Spektakel in der Nacht.
In Anchorage treffen wir wieder Karin und Thomas aus Öster- reich. Später auf der Homer Halbinsel und  in Seward ver- bringen wir mit ihnen zwei sehr schöne und gemütliche Abende. Wir suchen Holz am Strand und Karin überrascht uns mit einem grossen Filet zum Grillieren. Regine richtet einen feinen gemischten Salat. Bis in die späten Abendstunden plaudern wir in ihrem traumhaften Expeditions-Fahrzeug. Vielen Dank für die grossartige und gute Gastfreundschaft! Wir bleiben in Kontakt!
Wie geht unsere Reise weiter in Alaska?
Tja, wenn wir das wüssten! Regine und ich haben ja täglich genug Zeit um Reisepläne zu schmieden. Folgende Überlegungen haben wir in den vergangenen Wochen diskutiert und wurden einig. Seit April 2010 waren  wir in 9 Reiseetappen in Nord-, Mittel- und Südamerika unterwegs. Auf unserer Reise von Halifax nach Alaska,  von dort nach Feuerland und wieder zurück nach Alaska, sind wir mehr als 4-mal um die Erde gefahren (ca. 193'000 Kilometer). Dabei hatten wir keine einzige Motor- oder Fahr- zeugpanne, nicht einmal einen platten Reifen. Deshalb trennen  wir uns nur ungern von unserem Truck-Camper. Die 22-jährige Kabine und das Fahrzeug mit Jahrgang 2004 sind in sehr guter „Condition“. Kabine und Fahrzeug haben  uns während fast 4 Jahren und 8 Monaten treu gedient.


Es wäre schade, unseren Truck-Camper auf dem Autofriedhof abzustellen und dem Schicksal zu über- lassen. Deshalb beschlossen wir von Alaska nach Halifax  zurückzufahren. Die Strecke über 8'400 Kilometer quer durch Kanada an die Ostküste hat das Fahrzeug ebenso gut gemeistert, wie alles andere bevor. Jetzt stellen wir unser Fahrzeug ausserhalb Halifax in eine gedeckte Halle (Self-Storage), wo bereits mehrere Camper, Reisemobile, Wohnwagen und andere Fahrzeuge stehen. Es wird Zeit zuhause wieder neue Reisepläne zu schmieden und von der grossen weiten Welt zu träumen. Hoffen wir, dass unsere Gesundheit uns weiterhin treu begleitet, was nicht selbstver- ständlich ist in unserem Alter.
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