Reisebericht Brasilien

01. - 31.01.2015 Pôrto Velho - Manaus - Belém - São Luis - Fortaleza
Von Pôrto Velho nach Manaus auf dem Rio Madeira und Amazonas
„Follow your wildest dream“
Seit anfangs Jahr trägt mein neues T-Shirt von Manaus diesen Spruch. Ob man den Ausdruck „wildest“ mit wild oder abenteuerlich gleichsetzt, spielt keine Rolle. Was wir über Silvester / Neujahr im Amazonasbecken erlebten, hat noch viel mehr Attribute. Unsere über 1000 km lange Reise auf dem Rio Madeira und Amazonas ist nicht nur wild und abenteuerlich, auch exotisch, einmalig, unver- gesslich. Eine grossartige Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft der Lastwagen-Chauffeure und der Schiffbesatzung begleitete uns täg- lich. Wir suchten den „wildest dream“ und realisierten ihn über vier Tage auf dem Urwaldfluss. Für alle, die auch an eigen organisierte Dschungeltouren denken, es ist nicht nur „Honig lecken“. Nein, dahinter steckt auch mutige, geduldige, ausdauernde und vor allem  schweissnasse, harte Arbeit. Und nun der Reihe nach.
Porto Velho, 30. Dezember 2014   13.30 Uhr
Den Namen Pôrto Velho übersetzen wir mit „alter Hafen“. Am Fährhafen der Lastwagen trifft dieser Ausdruck zu. Die Verlade- rampe hatte schon vor Jahren das Pensionsalter erreicht, doch mit ihren verbogenen, krummen und ächzenden Stahlplatten versucht sie immer noch die schweren, grossen Lastwagen auf die Balsa (Ponton) zu hieven. Die Spannung steigt. Sattelanhänger, schwer beladen, platzieren die Hafenarbeiter fast Zentimeter genau neben- einander. Der breite Urwaldfluss Rio Madeira fliesst in brauner Farbe gemächlich dahin. Auf der rechten Seite im Hafen werden sehr grosse Schiffe mit Mais, Zucker und Soja beladen. Zwei riesige Silos stehen direkt am Wasser. Das Beladen dauert mehrere Tage, bei Regen wird dicht gemacht und die Öffnungen geschlossen. Das Soja wird nach China, der Zucker nach Peru verschifft.
Hier sind die Flüsse die wichtigsten Verkehrswege, besonders in der Regenzeit. Im gekühlten Büro von Linus, der nach eigenen Angaben 14 Schiffe besitzt, können wir die Reise bezahlen. Sein Sohn studiert in den USA Medizin, daher nimmt er gerne unsere US-Dollars. Er schreibt uns eine Quittung und übergibt uns die notwendigen Papiere für die Hafenbehörde. Alle Angaben werden im PC erfasst. Die Chance, als letztes Fahrzeug auf die Balsa zufahren, steigt. Zwei grosse schwere Übertragungswagen von „Master TV“ platzieren sie in der Mitte der schwimmenden Insel. Gegen 15 Uhr können wir als zweitletztes Fahrzeug auf die vollbeladene Balsa fahren. In Fahr- trichtung vor uns gibt es nur noch Wasser.
Unser Stellplatz hat die Grösse eines Sattelanhängers. Vorne und hinten haben wir noch ca. 5 Meter freien Platz zu unserer Ver- fügung. Einer der Chauffeure meinte lachend, auf der freien Fläche könnten wir noch Tango tanzen. Uns fehlt die Garderobe und die Temperaturen laden nicht ein zum Tanzen. Wir stellen unseren Tisch und beide Stühle vorn am Wasser auf und geniessen den schönen Ausblick. Vor uns der Rio Madeira mit seinen schönen Regenwald-Ufern. Bei strahlend blauem Himmel verlassen wir um 16 Uhr den Hafen von Pôrto Velho. Wir haben Wasser und Lebensmittel für mehrere Tage eingekauft. Wenn’s ausgiebig schüttet, geniessen wir eine erfrischende Dusche auf dem Tangoplatz. Der Stromanschluss ist für uns und andere ein grosser Komfort. Jetzt haben wir 24 Stunden Strom. Der Kühlschrank bietet kalte Getränke und laufend können Geräte, wie Navi, Laptop und Batterien aufgeladen werden.
Will man auf der Strasse von Pôrto Velho nach Manaus fahren, ist sie bestenfalls in der Trockenzeit offen. Nach Angaben von Einheimischen ist sie zurzeit nicht passierbar. Die Piste ist über 900 Kilometer lang und hat kaum Infrastruktur. Der Fluss Rio Madeira ist um einiges Länger, da sich die Wasserstrasse kurvenreich durch den Regenwald windet. Der Fluss wirkt für unseren Begriff breit. Wir denken zwischen 200 – 500 Meter, an einigen Stellen ist er viel breiter. Wir fahren unter der 2014 fertiggestellten Brücke durch und verabschieden uns von der Zivilisation. Ein kräftig kurzes Gewitter kühlt ab. Kurz danach zeigt sich die Uferlandschaft in der Abendsonne. Der Horizont verfärbt sich. Wir sitzen draussen und spüren den Fahrtwind.
An uns gleitet der Regenwald fast lautlos vorbei. Regine zeichnet auf dem Navi die Flussfahrt auf. Jetzt wissen wir die Reisege- schwindigkeit, auch kleine Orte entlang dem Ufer werden auf dem Navi mit Namen sichtbar. So können wir jederzeit unsere Position auf dem Fluss bestimmen. Da wir in Fliessrichtung unterwegs sind,  haben wir eine konstante Geschwindigkeit von 15 Kilometer in der Stunde. Als wir nach drei Tagen den Amazonasfluss errei- chen, fahren wir gegen die Strömung Richtung Manaus. Jetzt variiert die Geschwindigkeit zwischen 7 und 10 Kilometer in der Stunde, je nach Strömung. Oft fahren wir sehr nahe am Flussufer und erhalten einen guten Einblick in das einfache Leben der Indigenas.
Die Einheimischen nennen den schwimmenden Stahlkoloss „Balsa“. Ihre Länge dürfte gegen 65 Meter betragen. Vier Sat- telanhänger mit je ca. 12-15 Meter Länge stehen dicht hintereinander. In der Breite sind es fünf Fahrzeugreihen. Nur ein einziger Gang von ca.60 cm Breite ist offen, damit die Chauffeure und wir die Balsa in der Länge passieren können, um zum Schub- schiff zu  gelangen. Jeder Quadratmeter wird ausgenutzt, nur wir haben viel Platz und teilen ihn mit den Chauffeuren. Neben uns steht ein Sattelanhänger prall gefüllt mit Orangen. Nein, nicht etwa verpackt in Kartonkisten, eher beladen wie ein Lastwagen mit Jura-Schroppen!
Von den ca. 50 Kubikmeter Orangen bedient sich der Chauffeur grosszügig und verteilt viele Kilos an seine Berufskollegen. Auch wir kommen nicht zu kurz und haben für die nächsten Wochen genü- gend Früchte. Gleich hinter unserem Camper richten sich die Leute ein. Mit einer Elektro-Saftpresse wird gleich literweise frischer Orangensaft ausgepresst, den wir reichlich trinken dürfen.  Nun rich- ten sich die Chauffeure ein, stellen Tisch und Stühle auf, samt Grill- stelle. Im Normalfall steht den Leuten ja kaum ein Quadratmeter freie Fläche zur Verfügung. Da wir den Platz nur zu einem Drittel nutzen, freuen sich die anderen Fahrer. Dafür sind wir jetzt mitten unter ihnen und erhalten einen sehr guten Einblick in ihren Alltag. Manchmal klopfen sie an unsere Campertür und melden, dass das Mittag- resp. Abendessen fertig ist. Wir sollen uns bedienen mit Reis, Spagetti, Bohnen und Fleisch vom Grill. Vorsichtshalber neh- men wir unser eigenes Geschirr, da dies nicht mit dem braunen Flusswasser abgewaschen ist.
Der Wasserkreislauf auf dem Urwaldfluss!
Das Flusswasser ist lebenswichtig. Es wird für alles gebraucht, ausser zum Trinken. Die Dusche, die WC-Spülung, Hände und Kleider waschen, aber auch alle Früchte, Gemüse, alles Fleisch und Fisch samt Geschirr und Kochtöpfe werden mit dem braunen Flusswasser gereinigt. Mit Plastikkübeln, die an einem Strick befestigt sind, holt man das Wasser aus dem Fluss. Sicher für uns aussergewöhnlich und gewöhnungsbedürftig.
Nachdem Lebensmittel, Fleisch und Fisch gereinigt sind, kippt man das Wasser ein wenig mehr verschmutzt in den Fluss zurück. Der Kreislauf ist geschlossen. Das Dusch- und WC-Wasser fliesst unter dem Schiff direkt in den Fluss. Alle kompostierbaren Abfälle von der Küche wirft man direkt in den Fluss und wird als Fischfutter verwertet. Meist sammeln sie Verpackungen wie Pet- und Glasflaschen, so wie andere nicht verrotbare Abfälle ein. Leider wird das nicht von allen Leuten auf der Balsa konsequent durchgezogen. Schade!
Wie funktioniert  die Verständigung?
Wir versuchen mit unseren Kenntnis- sen in fünf Sprachen uns durchzuschla- gen, was uns bisher auch gut gelungen ist. Die ganze Schiffs- crew und alle Chauffeure verstehen kein Wort Spanisch, Eng- lisch, Französisch, Italienisch oder Deutsch. Nada! Und wir rätseln über ihre Portugiesischen Ausdrücke. Jeden Tag lernen wir  ein paar neue Wörter, oder einfache Sätze in Portugies- isch. Das hilft uns weiter. Am meisten brauchen wir die inter- nationale „Daumen-nach-oben-Geste“, die alle verstehen. Kurz ausgedrückt: Alles in Ordnung, alles OK, uns geht es gut! Dann gibt es viele internationale Ausdrücke, oder spanisch-portugiesische Wörter, die ähnlich klin- gen. Besonders auffallend, wenn wir versuchen mit ein paar portugiesischen Worten etwas zu fragen, wie hilfsbereit und gastfreundlich die Leute reagieren. Meist sprechen sie dann mit uns, als wären wir Einheimische. Und noch etwas: Ein freundlich lachendes Gesicht, eine liebevolle Geste brauchen wenig Worte.
Schlafen auf der Balsa
Grundsätzlich gibt es drei Möglichkeiten. Auf dem Schubschiff hat es ein paar sehr kleine, schmutzige Kabinen, in denen Platz für eine Matratze ist. Ein schmaler Gang vor dem Bett reicht knapp zum Umziehen. Der Schiffsmotor rüttelt den Schlafenden geräuschvoll in die Bettruhe. Nichts für uns! Be- quemer haben es die Lastwagen-Chauffeure, die eine Schlaf- koje hinter dem Fahrersitz haben. Sie lassen ihre Klimaanlage in der Fahrerkabine etwa 10 Minuten vor dem Schlafen gehen laufen, und legen sich dann in die kühle Kabine. Weniger luxuriöse schlafen die Leute in den Hängematten unter den langen Sattelanhängern. Der Fahrtwind beschert ihnen meist eine leichte Brise und die Hängematte wiegt sie in den Schlaf. Wäre für uns mal einen Versuch wert!  In unserer Wohnkabine öffnen wir alle Fenster und verschliessen sie mit dem Mückenrollo, so dass wir insektenfrei schlafen können. Auch bei uns zieht der Fahrtwind durch die Kabine, so dass wir angenehm schlafen können. Tja, wenn dann nachts ein Gewitter kommt, sagt Walter im Halbschlaf: “Es regnet“, und dreht sich auf die andere Seite. Regine steht dann auf und schliesst die beiden Dachfenster. Obrigado! Muchas gracias! Danke!

Die Balsa ist kein Touristenboot
Ja, wir haben uns im  Chauffeuren-Alltag eingenistet und fühlen uns wohl. Das Miteinander, die Herzlichkeit und die Gastfreund- schaft spüren, sehen, riechen und erleben wir hautnah. Auf unserer Balsa gibt es keine klimatisierten Räume, keine Bars und Restaurants, und die fein gekleideten Kellner und Reiseleiter fehlen ebenfalls. Und die Schiffcrew trägt keine Uniformen, nicht einmal der Kapitän. Der Einblick in den realen Alltag auf der Balsa hat für uns als Aussenstehende aber auch etwas Unangenehmes. Da sehr viele Güter von Pôrto Velho in die Millionenmetropole Manaus transportiert werden, gibt es zahlreiche Kühl-Sattelan- hänger auf dem Schiff. Da müssen Fleisch, Fisch, Käse und andere verderbliche Güter gekühlt transportiert werden. Und wenn die Sonne senkrecht unbarmherzig heiss über uns steht, müssen die Kühlmaschinen länger laufen. Je nach ihrer Tem- peratureinstellung schalten sie automatisch ein und aus. Wenn es regnet und nachts abkühlt, laufen die Kühlmaschinen nicht oder nur reduziert. Besonders eindrücklich ist es für uns, wenn alles ganz ruhig ist. Da wir an vorderster Front in der Fahrt- richtung sitzen, hören wir den Motorenlärm vom Schubschiff nie. Vom spiegelglatten Rio Madeira hören wir keinen Wellenschlag. So gleiten wir lautlos durch den Regenwald. Es kommt uns vor, als sitzen wir in einem Panoramakino, wo der Ton ausgeschaltet ist. Die leichte Brise auf dem Fluss ist sehr angenehm. Gerne lassen auch wir uns von einem erstklassigen  Touristenschiff ver- wöhnen und geniessen den Komfort. Will man aber aus dem touristischen, bequemen Alltag ausbrechen, muss man bereit sein, auch die Unannehmlichkeiten zu akzeptieren. Für alle Reisende die unterwegs sind, die ähnliches in ihrem Reiseprogramm vorhaben, geben wir folgenden Tipp. Beim Platzieren der Last- wagen neben dem Reise- oder Expeditionsfahrzeug darauf achten, dass beidseitig vom Fahrzeug keine Kühltransporter abgestellt werden.
Wie orientieren wir uns?
Da wir gerne wissen, wohin die Reise führt, zeichnet Regine auf dem Navi unseren Track auf. Die Fahrt von Porto Velho nach Manaus dauert 86 Stunden ohne Halt. Vier Nächte verbringen wir auf dem Fluss. Niemand kon- nte uns über die Länge der gesamten Fluss- fahrt Auskunft geben. Ist ja auch für die meis- ten Einheimischen nicht interessant. Wie lange die Reise dauert, zählt man in Tagen, bestenfalls in Stunden.
Dank unserem Navi können wir recht gut die gesamte Flusslänge errechnen, auch wenn man noch ein paar Ungenauigkeiten ein- schliesst. Auf dem Rio Madeira fuhren wir 70 Stunden mit exakt 15 Kilometer pro Stunde. Auf dem Amazonas, wo das Schubschiff gegen die Strömung ankämpfte, fuhren wir 16 Stunden mit einer Geschwindigkeit  zwischen 8 – 10 Kilometer pro Stunde. So dürfte die gesamte Strecke zwischen Pôrto Velho und Manaus  zirka 1200 Kilometer betragen. Das Navi errechnete die Strecke mit insge- samt 1242 Kilometer. Da unsere Balsa nicht immer schön in der Flussmitte unterwegs war, gibt es natürlich entsprechende Abweichungen. Interessant waren für uns die Namen der kleinen Dörfer entlang dem Flussufer. Auch die vielen Flussverzeigungen gaben uns jeweils einen Hinweis, welche Route unser Schiff nahm.
Silvester und Neujahr einmal anders!
Am Silvesterabend gibt es kein Feuerwerk. Im Laufe des Nachmittags wird der Grill mit Holzkohle aufgeheizt  und später mit viel Fleisch belegt. „Es gebe ein „Barbecue“ heute Abend“, sagte einer der Chauffeure. Es wird ge- gessen, gelacht und eine fröhliche Stimmung verbreitet sich. Da und dort wird auch ein Schluck vom gebrannten Wasser getrunken, aber alles mit Mass. Auf der gesamten Balsa gibt es kein Geländer. Jeder Schritt muss gut überlegt sein, sonst verschwindet man lautlos im braunen Wasser des Rio Madeiras. Besonders nachts muss man gut auf- passen. Gegen 22 Uhr wird es still auf dem Schiff. Die Chauffeure ziehen sich in ihre Schlafkoje und Hängematten unter dem Fahrzeug zurück. Die Balsa gleitet lautlos auf dem Fluss ins Neue Jahr.
Am nächsten Tag begrüssen wir alle auf dem Schiff mit einem herzlichen  „feliz Ano Novo“, was uns manche Umarmung einbrachte. Obwohl auf dem Schiff alles aufs Minimalste, Einfachste ohne jeglichen Komfort eingerich- tet ist, versprühen die Einheimischen eine Lebensfreude, die ansteckend ist. In ihren Augen haben wir ein fahrendes Hotel und alle wollen einen Blick in die kleine Kabine werfen. Trotz den sehr engen Platzverhältnissen haben wir versucht, das Leben der Chauffeure auf der Balsa festzuhalten. Diese Fotos werden uns noch viele Male ein Lächeln aufs Gesicht zaubern. Wir durften ein ganz kleines Stück Brasilien erleben, bewundern und geniessen, das nirgendwo auf einem Hochglanzprospekt für Touristen zu finden ist. Faszination und ein wenig  Abenteuer zum Jahresbeginn. Wir schauen den vielen Flussdelphinen  auf dem Amazonas zu. Kaum haben wir sie beim Springen entdeckt, tauchen sie wieder unter.
Für alle Reisende, die in Südamerika unterwegs sind, noch ein paar Zahlen. Die Tagestemperatur auf der Flussfahrt schwankte zwischen 25 und 35 Grad. Nachts kühlt es merklich ab. Der Mix aus Sonnenschein und Regen machte für uns die Fahrt erträglich, auch ohne Klimaanlage. An unserer Stelle konnte ein Sattelan- hänger weniger verladen werden, was sich auch auf den Preis durchschlägt. Für die ca. 1200 Kilometer lange Flussreise,  mit 2 Personen plus Camper (5.80 m) und Mahlzeiten, wir haben meist selber gekocht, mussten wir ca. 70 Rappen pro Flusskilometer einkalkulieren. Tja, für diesen Preis kann man im Hotel Tropical in Manaus, wo wir den feudalen, bewachten Parkplatz benutzen durften, gerade mal zwei oder drei Nächte verbringen, die aber klimatisiert und von edelster Bedie- nung und Komfort sind. Vielleicht fehlt dann dort eine Spur von Abenteuer!
Manaus, die 2.2 Mio. Großstadt im Amazonasbecken
Morgens um 6 Uhr erreicht unsere Balsa den Fähr- hafen ausserhalb der Stadt. Da die Hafenbüros noch geschlossen sind, geniessen wir eine kühle Dusche und frühstücken gleich vor der Hafenausfahrt. Drei Stunden später fahren wir ins Zentrum, erneuern unsere Vorräte und suchen einen Hotelparkplatz. In Manaus gibt es zwar viele Hotels, aber nur ganz wenige haben einen Parkplatz. Mitten in der Stadt treffen wir ein französisches Ehepaar, das mit ihrem Toyota-Camper im Amazonasgebiet unterwegs ist. Ihr Tipp ist Gold wert. Sie übernachteten auf dem Parkplatz beim exklusiven 5-Sterne Hotel Tropical am Punta Negra, direkt am Rio Negro. Wir geben ihnen wertvolle Reisetipps für das Pantanal und Bolivien mit. Die Franzosen fahren noch am gleichen Tag mit einer Balsa von Manaus nach Pôrto Velho. Der Tipp auf der Balsa nicht neben Kühllastwagen abzustellen, nehmen sie mit einer Umarm- ung entgegen.
Der grosse, bewachte und sehr saubere Hotelparkplatz mit Blick auf den Rio Negro entpuppte sich als Glückstreffer. Unter einem gros- sen, schattigen Baum neben dem Taxistand dürfen wir unseren Camper abstellen, haben einen Stromanschluss, Dusche und WC nur etwas entfernt. Einer der Taxifahrer macht uns auf den Wasserhahn aufmerksam, der mit einem Filter ausgerüstet ist, und gutes sauberes Trinkwasser abgibt. Pingo!  Mehr brauchen wir nicht!  Im klimatisierten Luxushotel schauen wir uns um. Touristen aus aller Welt kommen und gehen, lassen sich hier verwöhnen, geniessen einen grossen Park samt Schwimmbadanlage. Die Übernachtung ab ca. 300 Euro hat seinen Preis. Der Parkplatz kostet für 24 Stunden zirka SFR. 30.-. Die Ein- und Ausfahrt erfolgt mit Tickets und ist Videoüberwacht. Hier können wir unser Fahrzeug wirklich sicher abstellen und unbeschwert die Stadt besuchen. Die Ponta Negra liegt 13 Kilometer nordwestlich vom Stadtzentrum entfernt. Die Flaniermeile ist am Samstag und am Sonntag sehr belebt. Mehrere schöne Beachvolleyballfelder reihen sich aneinander auf denen auch bei warmen Temperaturen gespielt wird. Die grosse Strandpromenade und die angrenzenden Hoch- häuser sind weihnächtlich geschmückt.
Mit einem Taxi fahren wir ins Zentrum zum Pôrto Flutante, wo die vielen doppelstöckigen Amazonasboote an den schwimmenden Docks festgebunden sind. Wir wollen zuerst die Weiterfahrt auf dem Amazonas nach Belém organisieren. Wie immer an solchen Touris- tenorten wimmelt es von Touris-Jägern, die uns Dschungeltouren, Stadtbesichtigungen und andere Sehenswürdigkeiten aufschwatzen wollen. Não, não und nochmals não, lautet unsere Antwort. Wir brauchen eine Fähre / Boot, das uns samt Auto nach Belém bringt. Die zahlreichen kleinen Verkaufsstellen für Bootsfahrten aller Art sind total unübersichtlich und chaotisch. Wir fragen an manchen Stellen und zeigen jeweils unsere Visitenkarte mit dem Camper.
Der kleine Ticket-Stand, „AG. Campos Sales“, Vendas Passagens Autorizados, ist ausgerüstet mit Sonnenschirm, kleinem Tisch und zwei Plastikstühlen. Der „Chefe“ versichert uns, dass er in drei Tagen ein Schiff habe nach Belém. Er telefoniert und erkundigt sich betreffend Raumhöhe für unser Fahrzeug. Würde für uns passen, wir wollen weiter auf dem Amazonas zum Atlantik. Ein Einheimischer mit Englisch-Kenntnissen füllt das Ticket aus und wir bezahlen den Betrag. Der Hinweis „ Altura do Veiculo 2.90 mtr.“ wird ausdrücklich notiert. Für 2300 Reales (SFR 857.-) können wir weitere 4-5 Tage auf Entdeckungsreise gehen. Bis Belém sind es ca. 1500 Flusskilo- meter, die uns wieder ein Abenteuer versprechen. Den Hinweis, wir sollen am Vortag zum Hafen fahren und die Höhe auf dem Schiff Liberty selber ausmessen, nehmen wir ernst.  Alles OK, oder doch nicht? In den nächsten zwei Tagen besichtigen wir Sehenswürdigkeiten im Zentrum.
Manaus liegt auf 92 m Höhe am östlichen Ufer des Rio Negros. 11 Kilometer westlich fliesst der schwarze Rio Negro und der braune Rio Solimõnes zusammen. Das braune und schwarze Wasser fliessen noch viele Kilometer nebeneinander. Ab hier wird der Fluss Amazo- nas genannt. Wir machen uns auf den Weg zu den neu restaurierten Markthallen, die im Jahre 1863 nach dem Vorbild der „Les Halles“ in Paris gebaut wurden. Die Eisenkonstruktion und die farbigen Rund- bogen-Verglasungen präsentieren sich heute in neuem Glanz. In den drei Hallen werden Fische, Fleisch, Gemüse, Obst und Heil- kräuter angeboten. Nur ein Steinwurf entfernt  beladen viele Lasten- träger die mehrstöckigen Amazonasboote mit Gütern aller Art.
Voll behangen mit Hängematten warten die Einheim- ischen und Touristen auf die Abfahrt. Das bunte Trei- ben auf dem schwimmenden Dock fasziniert uns. Verschiedene Ess-Stände bieten Kulinarisches aus dem Fluss an und die Gerüche sind vielfältig. Vor 145 Jahren, zwischen 1870 und 1910, transportierte man von hier aus Kautschuk in alle Welt. 1896 auf dem Höhepunkt des Booms baute man das berühmte Opernhaus. Wir machen uns zu  Fuss auf den Weg dorthin.
Eine junge Studentin, die ausgezeichnet Englisch spricht, führt uns eine Stunde durch die historischen Räume. Unsere Privat- führung durch das Wahrzeichen von Manaus ist sehr interessant. Für das Bauwerk  wurden fast die gesamten Materialen aus Euro- pa importiert. Marmor aus Carrara, Dekor und Bühne aus Frank- reich, vergoldete Ziegel aus Lothringen, die Dachkuppel aus Schottland, Treppengeländer und Türen aus England, Kristall aus dem italienischen Murano, die Pflastersteine auf dem Vorplatz aus Portugal, nur der kostbare Intarsien-Fussboden stammt aus Urwaldhölzern der Umgebung. Während den Kautschuk-Boom- Jahren war nur das Beste gut genug und konnte sich mit euro- päischem Standard messen.
Die Studentin machte uns auf viele Details aufmerksam. So zum Beispiel, dass alle Sitzplätze im Parkett unter dem Stuhl mit einer Frischluftzufuhr ausgestattet sind. So konnten die feinen Damen ihre weiten Röcke grosszügig über den Sitzplatz legen, der ange- nehm gekühlt  wurde. Nicht nur der Opernsaal, auch der wunder- schöne Ballsaal mit seinen Gemälden, Säulen und Kristall-Spiegeln sind eine Augenweide. Auf unserem Rundgang zeigt uns die Stu- dentin auch Räume, die den grösseren Gruppen nicht zugänglich sind. So staunen wir über die komfortablen, luxuriös ausgestatteten Ankleideräume. Kaum vorstellbar, dass hier während dem Zweiten Weltkrieg das Teatro Amazõnico als Benzin- und Reifenlager benutzt und auf der Bühne Fussball gespielt wurde. Für den Besuch einer Abendvorstellung fehlt uns leider die Abendgarderobe, die vorgeschrieben ist.
Von aussen bestaunen wir noch zahlreiche Kolonialbauten, die schön restauriert sind. Wir besuchen im Hafen das Alfândega (Zollhaus),  im Zentrum den Palácio Rio Negro, den Palácio da Justiça und die Kathedrale von Manaus. Diese Kirche hat aber nicht von den Kautschuk-Boom-Jahren profitiert. Ihr Äusseres und Inneres zieht kaum Touristen an. Bei Sonnenuntergang besuchen wir die Flaniermeile am Punta Negra. Der Ausblick auf den breiten Rio Negro, im Hintergrund die dunkle Regen- wald-Silhouette, erinnert uns, dass wir uns um das Schiff nach Belém kümmern müssen. Am nächsten Tag wollten wir unsere Parkplatzgebühr beim Hotel Tropical für die 5 Tage und Nächte bezahlen. Wir gaben unser Parkticket am Schalter ab, mit dem Resultat, dass dies für uns gratis ist. Obrigado Hotel Tropical!
Wir suchten das Abenteuer und werden es nicht mehr los!
Voller Erwartung und mit dem Ticket in der Tasche fahren wir auf den grossen Hafenparkplatz. Wir erkundigen uns, wo das Schiff im Hafen liegt, damit wir die Einfahrtshöhe überprüfen können. Mit dem Doppelmeter in der Hand mache ich mich auf den Weg, während Regine unser Fahrzeug auf dem Hafen- gelände bewacht. Ich erkenne den Schriftzug der Liberty aus der Ferne. Lastenträger tragen Berge von Gütern auf das Schiff. Eigentlich brauche ich keinen Meter. Die Einfahrthöhe ist gerade mal 2.20 m hoch. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist wichtiger! Innert Minuten bin ich beim Ticketverkäufer und gebe ihm unser Ticket zurück. Das Wort “Bandito“ hörte er nur ungern, ist aber international verständlich. Er gab das Geld zurück und wollte mir gleich ein anderes Schiff anbieten, das in ein paar Tagen ausläuft. Mit einem Handschlag verabschieden wir uns, und er wusste, dass er bei uns verspielt hatte.
Wir machen eine zweite Runde den Ticket-Verkaufsständen ent- lang und entdecken ein einziges Schiff, das einen Teil der Lade- fläche nicht überdeckt hat und höhere Fahrzeuge aufnehmen kann. Ob es in einer Woche nach Belém ausläuft und ob es noch Platz hat, wissen die Götter! Wir gehen auf Nummer sicher. Im Porto Chibatão fahren wir vor das Hafenbüro, wo die Lastwagen auf die Pontons / Balsas verladen werden. Der Hafen liegt einige Kilometer ausserhalb der Stadt am Rio Negro. Zwei Stunden später haben wir ein Ticket nach Belém. Gegen 16 Uhr fahren wir als letztes Fahrzeug auf die Balsa. Der Frontplatz ist uns garan- tiert. Diesmal gibt es keine Kühltransporter, die meisten Sattel- anhänger sind leer und drei Chauffeure mit ihren Lastwagen haben nichts  zum Kühlen. Das 1500 Kilometer lange Amazonas-Abenteuer kann beginnen. Unsere Balsa stellen sie um 17 Uhr auf den Flussparkplatz neben der Verladerampe, wo wir eine erste Nacht verbringen.
2. Tag  Freitag, 9.01.2015
Wir stehen den ganzen Tag auf dem Parkplatz. Es regnet und wir arbeiten an den Homepageseiten. Zwei weitere grosse Balsas beladen die Hafenarbeiter mit Sattelan- hängern. Eines wird später hinter uns und das Andere rechts neben  uns mit Stahlseilen und dicken Tauen fest- gebunden. Wir verbringen eine weitere Nacht auf der Balsa.

3. Tag   Samstag, 10.01.2015
Ein altes Schubschiff, mit schwarz qualmendem Kamin, wird mit Stahlseilen und Tauen an der hintersten  Balsa festgemacht. Dies dauert ein paar Stunden. Auf den drei schwimmenden Stahl- plattformen stehen jetzt gegen 100 Sattelanhänger, sowie drei grosse Sattelanhänger mit Fahrzeug und unser Mini-Camper. Nirgends gibt es ein paar freie Quadratmeter, ausser vor und hinter unserem Fahrzeug. Um 13 Uhr beginnt die Reise nach Belém. Die Chauffeure sind froh, denn stillstehende Lastwagen bringen kein Geld. Wir sitzen in unseren bequemen Stühlen und blicken auf den schwarzen Rio Negro, der sich über viele Kilo- meter mit dem braunen Rio Solimôes vermischt.
Nach dem Zusammenschluss der beiden Flüsse heisst der Strom Amazonas. An manchen Stellen ist das Gewässer mehrere Kilometer breit. Mit 18 – 20 km/h gleiten wir ruhig Richtung Osten. Einer der Chauffeure fragt uns, ob wir zum ersten Mal von Manaus nach Belém unterwegs sind. Er kennt die Strecke auswendig, denn insgesamt hat er sie schon 104-Mal mit seinem Lastwagen zurückgelegt. Gegen 17 Uhr gehen wir auf das Schubschiff, wo das Nachtessen bereit steht. Fleisch, Reis, Spagetti und Bohnen, wie Tage zuvor auf dem Rio Madeira. Dank dem Fahrtwind, der durch unsere Kabine weht und der Ruhe, schlafen wir gut. Das Schubschiff, das etwa 150 m hinter uns liegt, hören wir nicht. Bevor die Chauffeure sich früh am Abend in ihre Lastwagen-Schlafkoje legen, kühlen sie noch ihre Fahrerkabine runter. Dann legt sich eine Stille über den Amazonas.
4. Tag   Sonntag, 11.01.2015
Morgens um 6 Uhr ist es totenstill und die Frage, fahren wir noch, ist berechtigt. Als wir aus dem Camper aussteigen, sehen wir, dass unsere Balsa am Flussufer angelegt hat. Regine macht sich auf den Weg zum Schubschiff. Als sie zurückkommt, meint sie trocken: „Problema com motor“! Wir sind jetzt laut unserem Navi ca. 283 Kilometer von Manaus entfernt. Weit und breit kein Haus, keine Zivilisation, nada!
Die schwimmende Platt- form ist mit einem dicken Seil an einem dürren Baum angebunden, so dass die schwache Strömung uns nicht abtreibt. Die Meldung, dass ein Mechaniker mit dem Wasserflugzeug eingeflogen wird, entpuppte sich später als Gerücht. Wir bleiben den ganzen Tag in der abgelegenen Wildnis, füllen Regenwasser in die leeren Flaschen ab und halten Ausschau, wo der beste Platz für eine Buschhütte wäre. Ausgerüstet mit Axt, Buschmesser und Werkzeugen sind wir besser dran als die Schiffcrew. Warten ist angesagt, die Chauffeure haben keine Freude. Sie verlieren viel Geld, wenn sie nicht fahren können. Wir nutzen den Tag zum Lesen und Schreiben. Schade, dass wir nicht in der Nähe von Einheimischen gestrandet sind, die am Fluss leben. Wir wären an Land gegangen und hätten einen Blick in ihren Alltag gemacht.
5. Tag   Montag, 12.01.2015
Im Laufe des Vormittags erblicken wir in der Ferne unser Rettungs-Schubschiff, das eine leere Balsa vor sich her- schiebt. Die Stimmung auf dem Schiff steigt, man sieht wieder lachende, fröhliche Gesichter. Das Ersatz-Schiff manövriert die leere Balsa an unsere Seite, wo sie festgebunden wird. Jetzt hat die Schiffcrew alle Hände voll zu tun. Das defekte Schub- schiff binden sie los und verschieben es zur leeren Balsa, wo es wieder fixiert wird.
Die Befestigung vom Rettungsschubschiff an den schwimmenden Stahlkoloss ist aufwändig. Stahlseile und dicke Taue werden mehr- fach verlegt und zusammengezogen, so dass Schubschiff und Balsa unverrückbar verbunden sind. Gegen 15 Uhr gleiten wir mit 4-5 km/h auf den Hauptfluss des Amazonas zurück. Um drei beladene, eine leere Balsa samt defektem Schiff auf dem Fluss zu manöv- rieren, braucht es viel Erfahrung. Die neue Köchin Andrea heisst uns herzlich Willkommen. Wir dürfen sie auch in ihrer Küche fotogra- fieren, die sehr einladend und sauber aussieht. Wenn man nur noch mit einer Geschwindigkeit von 5 Kilometer pro Stunde vorankommt, brauchen wir ja bis Belém noch Wochen…!
Der neue Kapitän leitet später ein interessantes Wendemanöver auf dem Amazonas ein. Die ca. 150 x 60 Meter grosse Plattform wird gegen die Strömung gewendet und am Flussufer mit mehreren Tauen befestigt. Nur unweit entfernt leben Indigenas am Fluss. Sie winken uns zu. Der Lastwagen-Chauffeur  neben uns spricht von Indianern. Die Urwaldbäume knarren und knacken, als die Taue durch die Kraft der Flussströmung gespannt werden. Der Kapitän überprüft persönlich die Befestigungen, er trägt die Verantwortung. Nun lösen die Männer die Stahlseile und Trosse vom defekten Schiff und der leeren Balsa. Im Zeitlupentempo entfernen wir uns vom angebundenen defekten Schiff und verabschieden uns winkend von der alten Schiffscrew. Wann sie Hilfe bekommt, wissen wir nicht. Der Nachbar neben uns atmet auf und meint, es sei für ihn nicht das erste Mal, solche Pannen kommen immer wieder vor. Typisch Brasilianisch, meinte er etwas abwertend.
Nach 33 Stunden Pannen-Aufenthalt, können wir jetzt die Reise auf dem Amazonas fortsetzen. Wir sind mit 18-20 km/h flott unter- wegs. Regine zeichnet auf dem Navi alles auf. Wir haben eine sehr gute neue Brasilienkarte, die jetzt auch kleinste Dörfer und Neben- flüsse anzeigt. Einzelne Flussabschnitte sind übersät mit Baum- stämmen und Treibholz in allen Grössen. Am Abend bei einbrech- ender Dunkelheit sind wir beim Schubschiff und sehen,  wie sich ein grosser Baumstamm samt Wurzelwerk in den Stahlseilen ver- heddert hat. Die Schiffscrew ist bemüht, den blinden Passagier los- zuwerden, was aber für uns nicht ganz ungefährlich erscheint. Ein Arbeiter steht auf die Stahlseile über dem Wasser und bindet am Wurzelstock einen Strick an. Mit vereinten Kräften ziehen die Män- ner den Baumstamm aus den Stahlseilen nach vorne, wo die Draht- seile höher über dem Wasser liegen.
Als der Wurzelstock unter dem Stahlseil hindurch- gleiten konnte, liessen sie das Seil ins Wasser fallen und der Baumstamm entfernte sich. Tja, das gehört zu ihrem Job. Es war so dunkel, dass wir nicht mehr fotografieren konnten. Um 22 Uhr stehen wir auf der Plattform vor unserem Auto und blicken in die dunkle Nacht hinaus. Kein Licht ringsum, ausser die grüne und rote Lampe an unserer Balsa auf der linken und rechten Seite. Ein prächtiger Sternenhimmel über dem Amazonas leuchtet uns entgegen. Das Sternbild des Orions direkt über uns. Lautlos gleitet die Balsa durch den Dschungel. An den Ufern sind keine Lichter zu sehen. Mit sicherer Hand lotst der Kapitän die Balsas durch die dunkle Nacht im weitverzweigten Wasserlabyrinth.  
6. Tag   Dienstag, 13.01.2015
Die Nacht war angenehm kühl und wir schliefen gut. Der Ama- zonas ist sehr breit, die Flussufer weit entfernt. Im Laufe des Tages passieren wir die Stadt Santarém. Sie liegt  auf halber Strecke zwischen Manaus und Belém an der Einmündung des Rio Tapajós in den Amazonas. Mit etwa 300‘000 Einwohner besitzt sie ein kleines Handelszentrum. (Bauxit, Gold, Kautschuk, Holz, Textilprodukte) Für uns gibt es hier keinen Zwischenhalt. Die leichte Brise auf dem Fluss ist angenehm, keine Mücken und Insekten plagen uns.  Die Temperatur im Camper beträgt 25 Grad. Wir geniessen das schöne Panorama vor uns. Den grauen Himmel mit den zum Teil schwarzen Wolken behalten wir im Auge.
Blitzschnell fällt ein kräftiger Regen für kurze Zeit und wir können wieder Trinkwasser abfüllen. Wir haben uns auf eine 4-tägige Fluss- tour eingerichtet und nun haben wir nach 6 Tagen etwas mehr als die Hälfte zurückgelegt. Wir haben wieder Stromanschluss und unseren kleinen Honda Generator unter dem Sattelanhänger können wir versorgen. Ja, ohne Strom auf dem Schiff läuft nichts mehr. Kühlschrank, Licht, Wasserpumpe, aufladbare Batterien, Navi, 2 Laptops und weiter Elektrogeräte brauchen immer ein bisschen Strom. Wenn wir nicht fahren, wird die Bordbatterie  in der Kabine nicht geladen. Die Chauffeure sagen, wir hätten ein rollendes Hotel mit fliessendem Wasser, Küche, Toilette und zwei bequemen Stühlen samt Tisch. Im Vergleich zu ihnen sind wir wirklich luxuriös auf der Balsa unterwegs. Zwei Chauffeure haben nicht einmal einen Stuhl zum Sitzen. Andrea die Köchin kommt zu uns und erkundigt sich betreffend Mittagessen. Uns genügt eine warme Mahlzeit am Abend, mittags machen wir Lunch. Der Kapitän kommt zu unserem  Auto. Er möchte uns das Steuerhaus auf dem Schubschiff zeigen. Er kann nur Portugiesisch. Der zweite Kapitän spricht ein paar Brocken Englisch. Wir dürfen fotografieren und sie haben Spass, dass wir an Bord sind. Mit zwei reifen, süssen Mangos verlassen wir das Steuerhaus wieder, es ist sehr eng dort oben.
7.Tag   Mittwoch, 14.01.2015
Um 6.30 Uhr, noch vor dem Frühstück, sitzen wir draussen und war- ten auf die aufgehende Sonne, die sich noch hinter den schwarzen Regenwolken versteckt. Eine hohe Hochspannungsleitung quert den breiten Fluss und verliert sich später irgendwo im Regenwald. Immer wieder sehen wir einfache Häuser dem Ufer entlang, die aber weit entfernt sind. Wir geniessen die sehr ruhig Fahrt und fragen uns manchmal im Camper, ob die Balsa noch fährt. Dann schaut Regine auf das Navi und meint, klar, wir fahren 17 km/h in südöstlicher Richtung. Das Wasserlabyrinth auf dem Navi ver- gleichen wir mit unserer Karte. So können wir auch auf der Karte unsere Position sehen. Leider fahren wir bei Nacht  ca. 100 km auf dem schmalen Fluss „Furo do Tajapuru“. Die Ufer sind zum Greifen nah, aber es ist stockdunkel.
8. Tag   Donnerstag, 15.01.2015
Um 6 Uhr stehen wir auf. Der spiegelglatte Fluss erwacht aus dem Dunkeln. Es wird hell. Heute sollten wir am Abend in Belém ankommen, meinen die Chauffeure. Sie sind froh,  endlich von der Balsa zufahren. Die Sonne steht den ganzen Tag senkrecht über uns, schlecht zum Fotografieren. Ich giesse das gesammelte Regenwasser in den Tank, man weiss ja nie, wie lange die Reise noch dauert. Gegen 14 Uhr nimmt unser Schiff Kurs auf eine grosse lange Flussinsel. Krachend donnert die Balsa auf die am bodenliegenden Stämme und Äste am Ufer. Die Crew geht mit dicken Tauen an Land und legt diese um zwei Bäume. Der Kapitän überprüft die Situation und erklärt uns, dass die „Pororoca“ (Flutwelle) kommt.
Pororoca, davon haben wir doch schon gelesen…! Tja, unsere 4-tägige Reise scheint sich in die Länge zu ziehen. Wir haben den schönsten Regenwald vor uns und könnten auf die Bäume klet- tern. Einer der Chauffeure kühlt sich im braunen Amazonasfluss ab. Wir suchten das Abenteuer und werden reich beschenkt.  Wir entdecken hoch oben im Baum ein grosses, weisses „Wespen- nest“ oder etwas Ähnliches, in runder Form. Den Portugiesischen Ausdruck finden wir nicht in unserem kleinen Wörterbuch. Ein Greifvogel setzt sich im Schatten auf einen Ast. Die Palmblätter leuchten saftig grün in der Nachmittagssonne.  Zirka 100 m von uns entfernt ist ein Schiff festgebunden, das drei grössere Tafeln mit der Aufschrift „Perigo“ (Gefahr) und „não fume“ (nicht rauchen) montiert hat. Transportiert etwas Brennbares, ÖL, Diesel oder Benzin.
Was ist eine Pororoca?
Nach Voll- und Neumond drückt die Kraft der Ge- zeiten aus dem Atlantik gewaltige Wassermassen in die Flussmündungen des Amazonas. Die meterhohe Flutwelle drückt sich alle 12 Stunden mit 20 – 30 km/h gegen die Flussströmung. Wegen dem sehr geringem Gefälle rollt die Flutwelle hunderte Kilo- meter tief ins Landesinnere.  Pororoca heisst über- setzt „krachendes Wasser“ in der Guarani-Sprache, weil ihr Grollen schon lange vorher zu hören ist. Ihre Gewalt reisst Uferböschungen weg, unterspült Holzhütten und lässt Boote kentern. Besonders hoch und hart ist die Welle von Januar bis April, weil die Flüsse wegen der Regenzeit voll sind. Dann wird die Pororoca in Meeresnähe zu zerstörerischer Flutwelle. Die Flutwelle kann bis zu 7 Meter hoch auftürmen. Damit unser Schubschiff mit drei beladenen Balsas nicht gegen diese Gegenströmung  vom Meer her ankämpfen muss, legt sie jetzt einen Zwischenhalt ein.
Bis um 19.15 Uhr steigt unsere schwimmende Stahlplatt- form um ca. 2 Meter an. Die starke Strömung vom Meer her hätte für das Schubschiff und die drei beladenen Balsas ein Treten an Ort gegeben, oder wäre gar rückwärts gefahren. Schade, dass niemand auf dem Schiff eine andere Sprache spricht als Portugiesisch. Wir hätten die Leute ausgefragt zu diesem Thema. Die beiden Crew-Männer, die an Land gingen, um die Taue zu befestigen, brachten uns noch Urwaldfrüchte zum Essen mit. Zwei Mauritia-Palmfrüchte, zwei Paranüsse und eine orangefarbene Marillen ähnliche Frucht. Ja, hier verhungert niemand, wenn man weiss, was essbar ist. Gegen 19.30 Uhr nimmt unsere Balsa Kurs Richtung Belém.
In der letzten Nacht auf der Balsa war Tango, Samba und Cha-Cha-Cha angesagt!
Der Amazonasfluss spielte in dieser Nacht mit uns- erer Balsa die wildesten, exotischen Tänze auf seinem Wasser. Ein kräftiger Wind aus Osten brachte die sonst ruhige Wasseroberfläche zum Tanzen. Wir hörten die quietschenden, kratzenden und an sich reibenden Stahl-Balsas in allen Tonlagen. Fünfmal stieg ich nachts aus dem Bett, ging nach draussen und kontrollierte, ob unser Camper noch auf der Plattform steht. Er ist nicht festgebunden. Nur die Sattelanhänger haben sie zum Teil fixiert. An Schlaf war nicht zu denken! Die hohen Wellen donnerten pausenlos an die schräge Unterseite der Balsa. Einige grosse Wellen brandeten auf das Deck.
Auch die Chauffeure konnten nicht schlafen und standen auf. In dunkler Nacht schauten wir  gemeinsam aufs tobende Wasser. Nur zwei Meter vom Plattform-Ende entfernt hielten wir uns an den Fahrzeugen fest. Den Ausdruck Pororoca hörte ich mehrmals zwi- schen den Portugiesischen Gesprächen. Von 20 Uhr bis morgens um 3 Uhr war nicht Damentour. Nein, der Amazonas zeigte uns klar und deutlich, wer der grösste Strom der Erde ist. Die vibrierenden Stahl-Balsas sind für ihn nur Spielzeuge. Das Schubschiff kämpft gegen die hohen Wellen an und macht noch 6 – 8 km in der Stunde. Das  Auf und Ab steigerte sich noch durch unsere Fahrzeugfederung. Hinten haben wir beide Stahlfüsse auf den Boden abgesenkt, so dass unser  Fahrzeug hinten nicht aufschaukelt. Nachts um 3 Uhr gönnten wir uns noch zwei Stunden Schlaf. Tja, wir haben den Amazonasfluss gesucht, gefunden, gespürt und hautnah erlebt. Der Amazonas spielte uns das  gesamte Repertoire von Piano bis Forte in allen Variationen. Ein ganz grossartiges Erlebnis mit einem Hauch von Abenteuer!
9. Tag   Freitag, 16.01.2015
Morgens um 5 Uhr erreichen wir den Hafen von Belém. Ein paar Minuten später fahren wir auf das Hafengelände, wo wir im Camper frühstücken. Um 9 Uhr sind die Formalitäten abschlossen. Wir verabschieden uns von den Chauffeuren und verlassen das Hafengelände.

Fazit: Die Reise durch das Amazonasbecken von Manaus nach Belém hat nicht  4 Tage, sondern fast 9 Tage gedauert. Der Einblick in den realen  Alltag der Chauffeure und der Schubschiff-Crew hat uns tief beeindruckt. Würden wir von diesen Tagen alle Details aufschreiben, es gäbe mehrere Dutzend Seiten. Eine Balsa-Plattform ist kein Touristenschiff. Man muss bereit sein, auf jede Bequemlichkeit zu verzichten, nur was man selber auf die Balsa mitbringt, bietet Komfort. Unser Navi zeichnete die gesamte Strecke auf und errechnete eine Distanz von 1549 Kilometer.
Der gesamte Fahrpreis (2 Personen, Camper, Mahlzeiten, Hafengebühren) betrug 2400 Reales (SFR 900.-) Pro Fluss-Kilometer knapp 60 Rappen. Solch tiefgreifende Erlebnisse, die man am eigenen Körper spürt, fühlt, riecht, hört und sieht, sind für uns beide jeden Cent wert. Schade, ist die insgesamt  2750 Kilometer lange Schiffsreise (Pôrto Velho – Manaus – Belém) durch das Amazonasbecken zu Ende. Wir würden gleich wieder mit unserem Camper eine Balsa-Reise unternehmen. Das nächste Mal aber mit dem zweifachen Vorrat an Lebensmitteln und Trinkwasser. Man weiss eben nie, wann man ankommt! Nur das Abenteuer ist garantiert!
Belém –
wo die Hotelnamen schneller ändern als die alten Mangobäume
Wir machen uns im Stadtzentrum auf die Suche nach einem ge- eigneten Hotel mit Parkplatz. Dem Grundsatz, das Fahrzeug sicher abzustellen bleiben wir treu. Auch hier gibt es an einem Werktag verstopfte Strassen. Die meisten Hotels haben keine Parkplätze, oder nur an der öffentlichen Strasse entlang.  Andere haben Ein- stellhallen (Einfahrtshöhe 1.90 m), so dass wir am Schluss zur besten Adresse von ganz Belém fahren. Das Hotel Hilton Belém ist laut Reiseführer das Aushängeschild der 1,5 Millionen Stadt. Gibt es hier einen Abstellplatz für uns? Es gibt nicht einmal mehr das Hotel Hilton. Unser Reiseführer wurde im  2014 aktualisiert und führt das Aushängeschild an erster Stelle auf. Die freundliche Frau an der Rezeption klärt mich auf und meinte, das Hotel Hilton gibt es nicht mehr, es trägt jetzt einen anderen Namen. Auch sie weiss keine Möglichkeit, wo man unseren Camper sicher abstellen könnte. Zum Glück bleiben die vielen alten, prächtigen Mangobäume beidseits der Strassen stehen und spenden weiterhin viel Schatten und Früchte im tropischen Klima. Sie haben weit mehr als hundert Jahre die Stadt geprägt und werden es weiter tun, nur die Hotelnamen wechseln schneller.
Etwa 22 km ausserhalb der Stadt finden wir im „Parques dos Igarapés“ eine traumhafte Unterkunft, direkt im Regenwald. Die Anlage hat 15 rustikale Chalets, Schwimmbad, Restaurants, Dschungelwege und ein sicherer Parkplatz vor unserem Haus. Nach der Besichtigung buchen wir gleich vier Nächte. Ein grosser schöner Raum mit Doppelbett und Zusatzbett, Klimaanlage, Kühlschrank, TV, 2 Büroarbeitsplätze und ein sauberes Badezimmer laden ein zum Verweilen. Am Morgen lassen wir uns von einem guten Frühstücks- buffet verwöhnen. Unsere Camperküche schicken wir in den Urlaub. Mit dem Besitzer handeln wir einen Preis von 110 Reals für 2 Personen aus  mit Frühstück und Parkplatz. Ein Glücksfall!  Tja, wo kann man noch für SFR. 36.- einen schönen Ferientag  im Regenwald verbringen? Im Parques dos Igarapés ist dies noch möglich.
Belém – eine sichere  Stadt? Besser als die Schweiz?
Belém ist wie Manaus durch den Kautschukboom gross geworden und hat eine interessante Vergangenheit. Wir machen uns auf den Weg zum traditionsreichten Markt Amazoniens, bekannt unter dem Namen „Ver-o-Peso“ (schau auf das Gewicht). Der Name stammt aus der traditionellen Besteuerung nach dem Gewicht der ankommenden Waren. Die Türmchen verzierte Fisch- markthalle ist das markante Wahrzeichen von Belém am Rio Guamá. Die Auswahl an fangfrischen Amazonasfischen  am späten Vormittag ist sehr gross. Exemplare bis zum einem Meter Länge liegen gekühlt auf den Verkaufstischen.
Auf dem grossen Früchte- und Gemüsemarkt gibt es zahlreiche Tro- penprodukte, die wir noch nicht kennen. Bei den Ständen mit den Kräuterfrauen und Schamanen riechen wir die stark duftenden  Heil- pflanzen aus dem tropischen Regenwald. In unserem Reiseführer steht: „Nirgendwo sonst in Amazonien liegen die Produkte und Geheimnisse des tropischen Waldes in so konzentrierter Form vor dem staunenden Besucher wie auf dem Ver-o-Peso-Markt“. Das können wir bestätigen, die Produkte aus der grünen Apotheke Amazoniens ziehen uns magisch an. Auch die vielen Garküchen verströmen ihre Düfte und machen uns hungrig.  Gleich neben dem Markt stehen die alten Hafen-Lagerhallen restauriert und umgebaut, die heute ein beliebter Treffpunkt mit Restaurants, Läden, Kunsthandwerk  und Theater sind.
Das "Teatro da Paz" in der Parkanlage „Praça da República“  ist leider nur von Dienstag bis Freitag offen. So besichtigen wir das „Friedens-Theater“ nur von aussen. Der Monumentalbau wurde in den Kautschuk-Boom Jahren von  1869 – 1874 gebaut. Wir spaz- ieren durch eine Fussgängerzone Richtung Kathedrale, die nach Angaben der Reiseunterlangen eine der interessantesten des Landes ist. In der Fussgängerzone sind die Läden geschlossen und es hat kaum Leute. Nach etwa 200 Meter überholt uns ein Jugend- licher und zieht an uns vorbei. Wir passen auf, denn auch in Belém werden Touristen vor kriminellen Machenschaften nicht verschont. Nach etwa 300 Meter sagt Regines Bauchgefühl, dass es besser wäre, umzukehren. Die Fussgängerzone ist fast menschenleer. Wir kehren um und gehen auf die belebte Avenida Vargas zurück. Kurze Zeit später taucht der junge Bursche neben uns erneut auf. Diesmal mit einem messerähnlichen Gegenstand in der Hand und verlangt die kleine Pocket-Kamera, die ich in der rechten Hand halte. Der etwa 15 - 16 jährige Bursche streckt mir sein freches Gesicht entgegen und im gleichen Augenblick schnellte meine linke Faust in sein Gesicht, so dass er rückwärts taumelte. Der Schrei von Regine hörte man weit herum. Überrascht von unserer Reaktion rannte der Jugendliche in eine Seitengasse und zog sich ein Frottiertuch über den Kopf. Für ein Foto reichte es nicht mehr, er war verschwunden. Ja, wir hatten Glück gehabt, konnten aber die Gefahr in Sekundenschnelle richtig einschätzen, denn wir sind wirklich sehr aufmerksam unterwegs.  
Als wir heute Morgen den berühmten „Ver-o-Peso“ Markt be- suchten, beobachteten wir einen andern Vorfall. Wir standen bei den Kräuterfrauen und bewunderten das reichhaltige Angebot an Heilpflanzen, Ölen, Holzrinden und anderen Tinkturen, die in kleinen Flaschen und Mini-Gläsern abgefüllt, beschriftet und einladend ausgestellt sind. Etwa 30 Meter von uns entfernt, hörten wir einen lauten Aufschrei. Viele Marktleute rannten zum Ort des Geschehens und hielten einen Mann fest. Jemand muss einen Dieb entdeckt  haben und hat gleich Alarm geschlagen. Keine Minute später hat die Polizei, die bei den Marktständen präsent ist, den Gauner dingfest gemacht. Die Arme auf dem Rücken mit Handschellen um seine Handgelenke sitzt er auf dem Boden und windet sich. Die Menschenmasse löst sich wieder auf und der Alltag kehrt ein. Der Delinquent liegt später am Boden bei der Polizeistation und alle Passanten können ihn zu Gesicht bekommen. Ja, hier werden solche Diebe nicht mit Samthandschuhen angefasst. Hier wird gehandelt und das gibt uns auch eine gewisse Sicherheit in diesem grossen Land.
Nach unserem Zwischenfall gehen wir nochmals zu den Restaurants bei den Lagerhallen an der Hafenpromenade und laden bei einem WIFI –Spot die neusten Zeitungs-News aus der Schweiz auf den i-Pod. Wir blicken auf die vielen Schlagzeigen und lesen auf der ersten grossen Überschrift:
„Thun, Jugendliche bedrohen Frau mit Messer! Raubversuch auf offener Strasse. Zwei junge Männer bedrohen in Thun eine Frau und forderten Geld!“
Soweit die Schlagzeile aus der Schweiz, die wir hier in Belém zur Kenntnis nehmen. Dass wir diese Meldung eine Stunde später nach unserem Vorfall lesen, mag Zufall sein. Die Frage bleibt offen und unbeantwortet: Belém– eine sichere  Stadt? Besser als die Schweiz?
Bioparque Amazônia
Am letzten Tag in Belém wollen wir den 1989 von Dr. Aarton Monteiro gegründete amazonische Biosphärenpark „Crocodile Safari“ besuchen. Er hat die Grösse von 80 Hektaren, ist ein- gerahmt vom Tropenwald und bietet 14 km lange Dschungel- pfade, wo man Flora und Fauna des Regenwaldes bestaunen und entdecken kann. Aras, Hyazinth-Papageien, Tukane, Affen, Ameisenbären und andere Tiere aus den Amazonasbecken sind hier zuhause. Eine Attraktion ist das „Museu de Malacologia e Paleontologia“. Vom Parque dos Igarapés, wo wir einquartiert sind, bringt uns ein Taxi durch ein etwa 12 km langes Strassen- und Gassenlabyrinth am Rande der Grossstadt Belém dorthin.
Unterwegs sehen wir die grosse Strassentafel mit der Aufschrift „Bioparque Amazônia“. Wir sind richtig unterwegs. Die Hütten, Gassen und Lebensbedingungen in den Vororten von Belém erinnern mich an tiefes Afrika vor 45 Jahren.
Nach etwa 20 Minuten Fahrzeit steht unser Taxi vor dem Eingangstor des Safari-Parks. Eine grosse Wellblech-Verkleidung am Eingangstor lässt nichts Gutes erahnen. Vor dem Eingang steht ein Einheimischer mit einem Handy in der Hand. Er erklärt unserem Taxi-Chauffeur, dass es diesen „Crocodile Safari-Park“ nicht mehr gibt, er existiert nicht mehr, er hat sich in Luft aufgelöst!  Tja, so schnell kann das in den Tropen im Nordosten Brasiliens gehen. Nur eines ist sicher: Die grosse Wegweiser-Strassentafel mit der Aufschrift „Bioparque Amazônia“ wird noch Jahrzehnte über der Strasse hängen, bis sie verrostet ist. Ihre Halterung wird noch etwas länger Überleben und daran erinnern, dass es hier einmal einen Safari- Park gab.
Unser Navi hat eine neue Stimme – mit viel Humor!
Ohne Navigationsgerät würden wir in den Grossstädten Brasiliens kaum mehr die richtigen Strassen finden. Weg- weiser sind in der Stadt sehr rar. Auf den Hauptachsen sind manchmal die nächsten Orte, oder einen Hinweis zum „Centro“ angegeben. Nun hat Regine die Portugiesische Sprecherin entlassen und eine freundliche, humorvolle, Deutsche Stimme angestellt. Sie dirigiert uns mit ihrer Sprache elegant durch das komplizierte Strassenlabyrinth der Millionen-Städte. Neben den üblichen  Ansagen wie „biegen sie rechts ab“, oder „nehmen sie die dritte Ausfahrt“, hat sie aber ihren Wortschatz humorvoll erweitert. Eine kleine Kostprobe.
Mitten auf einer geraden Strasse sagt sie: „Können wir mal eine Pause machen, ich bin müde?“  Noch besser: „Da wollen sie wirklich hin? Da bin ich gar nicht dafür angezogen!“  Längere Zeit schweigt die Navi-Stimme und meldet überrascht: „Sie können gerne anhalten und jemanden fragen.“  Sie ist wirklich Variantenreich: „Wann sind wir endlich da“, fragt sie höflich. „Das muss ich ja wissen“, kommt ihre Antwort prompt. Und für das grosse Land Brasilien besonders zutreffend meint sie: „Ah, das ist aber weit!“
 
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