Reisebericht Mexiko
01. - 31.10.2011 San Miguel de Allende - Catemaco (Veracruz)
San Miguel de Allende - tickt anders!
Das Städtchen im Hochland ist nicht typisch. Eine internationale Kunstakademie, Wohnort vieler Künstler und Kunstliebhaber, Galerien, Sprachschulen, aber auch Wohnsitz vieler amerikanischer Bürger prägen das Gesicht dieser Kleinstadt. Moderne Shops und Boutiquen trifft man hier ebenso, wie eine sehr grosse Auswahl an Restaurants mit idyllischen Innenhöfen. San Miguel ist auch der „Pilgerort“ des Freiheitskämpfers Ignacio de Allende, der hier 1779 geboren wurde. Er führte 1810 den mexikanischen „Guerra de Independencia“ (Unabhängigkeitskrieg) an.
Er gehörte zu den revolutionären Männern, die gegen die sozialen Missstände und Ausbeutung der landlosen Bauern kämpfte. So erhielt die Stadt später den Zusatz „de Allende“. Die Allende-Statue im Eckhaus ist mit Blumen geschmückt. Sein Geburtshaus und das dazugehörende Museum im Zentrum ziehen Besucher an. Das Kulturleben in der Stadt ist fast einmalig, ständig gibt es interessante Ausstellungen, Konzerte, Aufführungen und natürlich immer wieder eine „Fiesta“ die über mehrere Tage gehen kann. Das Angebot an Freizeit-Kursen aller Art ist hier besonders gross. Schmuck herstellen, Mal- oder Tanzkurse besuchen und wer Spass hat, kann auch sein Spanisch erweitern, da kommt kaum Langeweile auf. Hinzu kommt, dass der Ort einen gewissen Charme besitzt und für uns als Besucher eine sehr grosse Sicherheit bietet. Selbst nachts können wir durch die engen Gassen spazieren ohne Angst zu haben und zu Fuss auf den Campingplatz zurückkehren.
Obwohl wir das Gefühl haben, hier lässt es sich gut leben, treffen wir in den Gassen und vor Kirchen alte Indiofrauen an. Sie sitzen am Strassenrand und betteln um ein paar Pesos. Sie stehen am untersten Ende des sozialen Gefälles und der Anblick passt schlecht in die touristenreiche Kolonialstadt. Die Begegnung mit den bettelnden Indiofrauen berührt unser Innerstes. Wurden sie im Stich gelassen von ihren Familien und warum gehören sie zu den Verlierern dieser Stadt? Solche Fragen wälzen wir im Kopf, während wir meist auf fröhliche Menschen treffen. Ja, die Oberschicht, die Mittelschicht und die Bettelnden, sie alle sind mitten auf kleinem Raum in der Innenstadt anzutreffen. Auch das gehört zu San Miguel de Allende!
Die Voladores (fliegende Menschen)
Das San Miguel Patronatsfest am 29. September wird in diesem Ort ganz besonders gefeiert. Die Stadt San Miguel ist in Feststimmung. Brauchtum und Folklore ist den Mexikanern heilig. Die „Fiestas“ sind die grossen Highlights im Jahr. Da wird musiziert, ausgiebig getanzt und sehr lange, ohrenbetäubende Feuerwerks-Shows abgehalten. Kaum ein Land hat so viele Feiertage und Feste wie Mexiko. In sehr vielen unterschiedlichen Veranstaltungen drückt sich das reiche kulturelle Erbe aus. Ein wichtiges Fest ist immer der Tag des Schutzpatrons des Ortes, bzw. der Kirche.
Als wir am späten Nachmittag den Plaza Principal besuchen, bereitet sich eine Gruppe Voladores auf ihren Auftritt vor. Ihr Tanz um den hohen Mast wird von den Klängen einer Flöte und einer Trommel begleitet. Etwas später steigen fünf Männer auf den ca. 20 m hohen Mast. Sie sitzen an der Spitze des Mastes auf einem drehbaren Holzrahmen. Vier Voladores befestigen ein Seil an ihrem Körper, das aufgerollt am Mast befestigt ist. Flötenspiel und Trommelklänge begleiten die Akrobaten bei den Vorbereitungen. Kurze Zeit später lassen sich die vier „Tocotines“ kopfüber nach hinten abrutschen, während sich die Seile über dem Holzrahmen abspulen.
Die Männer schweben in immer grösser werdenden Kreisen zu Boden. Nach etwa 13 Umdrehungen sind die Seile abgewickelt und ihr Körper mit dem Kopf voran berührt fast den Boden. Im letzten Moment richten sie sich wieder auf. Während des Herabgleitens flötet und trommelt der fünfte Mann auf der Mastspitze. Die Voladores tragen eine schön weiss-rote Totonakentracht. Die Totonaken sind im Norden von Veracruz und Puebla beheimatet. Viele alte Riten sind in ihrer Religion noch lebendig. So entwickelten sie das Ritual des „Danza de los Voladores“ das heute an verschiedenen Orten eine Touristenattraktion ist. Mit einem grossen Applaus wurde die Gruppe für ihre Darbietung belohnt.
San Miguel – in der Nacht um 3 Uhr
Schon beim Einschlafen hörten wir vom Stadtzentrum her laute Musik, Knaller und Feuerwerkskörper. Um 2.15 Uhr weckte uns das Handy. Mit Joachim, Bärbel, Günter und Doris spazierten wir ins Zentrum zum nächtlichen Treiben. Rund um den „Zócalo“, der in San Miguel de Allende Jardin Principal, bzw. Plaza Principal heisst, standen die Besucher gedrängt. Um 3 Uhr startete der Umzug mit verschiedenen Musikgruppen die in einer aussergewöhnlichen Lautstärke spielten. Um 4 Uhr läuteten die Kirchenglocken der Pfarrkirche San Miguel das einstündige, ohren- betäubende Feuerwerk ein. Mitten unter einem gewaltigen Feuerwerk zu stehen ist gewöhnungsbedürftig und unsere Ohren hatten wenig Freude.
Die Feuerwerkskörper wurden kaum 20 Meter vor uns in einer Gasse archaisch von Hand gezündet. Jung und Alt, aber auch viele Kinder schauten in den funkelnden Himmel. Während dem Feuerwerk über dem Jardin Principal wurde vor dem Kirchenportal ein anderes, kleineres Feuerwerk gezündet, das ununterbrochen mit knallendem Lärm den Platz erhellte. Über dem grossen Platz war der Krach so laut, dass man sich nur noch mit Brüllen verständigen konnte. Ein Regen von verbranntem Feuerwerks-Müll prasselte auf die Zuschauer herab und bedeckte langsam aber sicher den Boden. Wir stellten uns unter die Lorbeerbäume, die als Schutzschirme den Müll vom Himmel auffingen. Ein Spektakel von aussergewöhnlicher Heftigkeit in den frühen Morgenstunden.
Um 5 Uhr verstummte das grosse Haupt-Feuerwerk. Von hohen, drehenden Metallgittertürmen vor dem Kirchenportal zündete erneut ein fantasievolles Feuerwerk. Rotierende Sonnen- und Sternbilder in allen Grössen drehten horizontal und vertikal rund um die Türme. Kaum war ein Feuerwerksbild erloschen, zündete gleich das Nächste. Zischende Geräusche wurden abgelöst von lauten Knallern, farbigen Bildern und fantasievollen drehenden Objekten. Der Geruch und Rauch von abgebranntem Feuerwerk wehte der Wind über die Dächer hinweg. Fast pausenlos dauerte die Feuerwerks-Show. Zum Abschluss drehte sich eine grosse Feuer speiende Sonne an der Spitze des Turmes, die sich immer schneller drehte. Plötzlich hob sie ab, drehte sich laufend höher in den dunkeln Himmel bis sie erlosch.
Die Silhouette der Kirchenfassade erhellte sich als ein funkelnder Lichterregen an langen Drähten zum Glockenturm aufstieg. Das Glockengeläute mischte sich unter die laute Feststimmung und verschiedene Musikgruppen überboten sich an Lautstärke. Man muss mitten im Pulk stehen um zu begreifen, wie die Mexikaner eine grosse „Fiesta“ durchziehen. Wir mitten drin in einer Stadt, nachts, kaum Platz zum Stehen… wir hätten das uns nie träumen lassen…! Um 6 Uhr gab es Frühstück, nicht in der Altstadt, sondern in unserem Camper. Ein paar Stunden Schlaf und unsere Ohren konnten sich wieder an einen normalen Lärmpegel gewöhnen.
Am späten Nachmittag um 17 Uhr gingen die Feierlichkeiten rund um den Jardin Principal und vor dem Platz der Kirche mit grosser Zuschauermenge weiter. Es folgte ein zweistündiger Tanz- und Musikumzug. Gruppen aus den verschiedensten Orten Mexikos präsentierten sich mit ihrem Brauchtum. Grosse Reitereinheiten, farbenprächtige Trachten, Kostüme, Masken und Musikkapellen begleiteten den Umzug. Verschiedene Tänze und Kampfspiele zeigten die unterschiedlichen Volksgruppen in voller Begeisterung.
Mehrere auf grossen Holzrahmen gestaltete Kunstwerke aus Blumen, Holz- und Pflanzenteile stellten die Gruppen vor der Kirchenfassade auf. Mit christlichen Ornamenten geschmückt bereicherten sie den Eingang zur Kirche. Um 20 Uhr war der Festplatz immer noch gerangelt voll und wir konnten uns nur mühsam durch die Menge fortbewegen.
Zum Abschluss wieder ein Feuerwerk, wenn auch etwas kleiner als in der Nacht. Wir können nur staunen, San Miguel de Allende feiert ihren Patronatstag begeisternd, ausdauernd und leidenschaftlich. Wir erhielten einen kleinen Einblick in das Brauchtum, in die Kulturtradition und in die altindianischen Riten. Ein wirklich grossartiges Erlebnis!
Die Wäsche-Wasch-Kultur ändert sich!
Gewohnt unsere Wäsche selber auf dem Campingplatz oder vor Ort in einer Lavanderia zu machen hat sich in den letzten 12 Monaten bewährt. Doch seit wir im Mexikanischen Hochland sind, wird die Wäsche für uns gemacht. Campingplätze verfügen meist über keine Waschmaschinen oder andere Waschgelegenheiten. Dafür kommt ein Bote von der Wäscherei. Er holte um 9.15 Uhr ein grosser Stoffsack verschmutzter Wäsche (6-7 kg) ab. Am späteren Nachmittag bringt er sie gewaschen, getrocknet und schön zusammengelegt in einem durchsichtigen Plastiksack verpackt zurück. Wir sind überrascht, das vollständige Wäschesortiment kommt um 17 Uhr auf den Campingplatz zurück, nichts fehlt! Ein exklusiver Service der uns ca. SFR. 11.- kostete. Wir müssen umdenken, morgens die Kleider im Wäsche-Salon abgeben und abends pikfein zusammengestellt, verpackt abholen. Das kommt noch günstiger! Wir werden uns daran gewöhnen, die Wäsche wird hier für uns gemacht!
Campingplatz San Miguel de Allende
Mit Hilfe des Navi fahren wir metergenau vor den kleinen Campingplatz mitten in San Miguel de Allende. Von aussen sehen wir nur Mauern, Tore und Bäume. Niemand würde hinter der hohen Mauer einen Campingplatz vermuten. Wir stehen mitten in einer schmalen Gasse und suchen den Eingang. Später öffnet uns Hans das Tor und wir fahren auf einen Stellplatz. Bärbel und Joachim aus Deutschland begrüssen uns. Sie sind seit längerer Zeit hier „daheim“. Wir erhalten News und Joachim macht mit uns am nächsten Tag eine tolle Stadtbesichtigung. Er führt uns wie ein Einheimischer zu den schönsten Orten in der Altstadt. Herzlichen Dank! Bärbel ist eine Künstlerin in der Schmuck-herstellung. Sie zeigt uns ihre schönen Kostbarkeiten, die sie selber gefertigt hat. Einfach Klasse! Sie besucht hier diverse Kurse und sie liebt das Kunsthandwerk. (www.reisestationen.de)
Am Montag kommen Doris und Günther aus der Schweiz von einem 4-tägigen Aufenthalt aus Mexiko City zurück. Sie sind mit ihrem Reisemobil auf der Panamericana unterwegs. (www.henryreisen.ch) Jetzt erhalten wir viele Infos betreffend der Mega-City. Wir sitzen am Abend alle zusammen und tauschen Reiseinformationen aus. Für unsere Reiseplanung sind solche Informationen sehr wichtig, denn sie entsprechen dem neusten Stand und wir erfahren immer wieder interessante Details, die in keinem Reiseführer zu finden sind.
Petra und Klaus aus Deutschland machen ebenfalls einen Zwischenstopp in San Miguel de Allende. Wir verbringen mit ihnen einen sehr schönen Abend in ihrem Camper. (Walters Traumfahrzeug) Sie kennen Mexiko sehr gut, da sie schon mehrere Monate in diesem Land unterwegs sind. Auch sie geben uns wertvolle Tipps über die Gegend der Sierra Gorda im Bundesstaat Querétaro, den Süden von Mexiko, Yucatán, Belize und Guatemala. (www.abenteuertour.de)
Für die schöne Begegnung, die gemeinsamen Stunden und die vielen Tipps allen ein dreifaches „muchas gracias!“ Bestimmt werden wir uns wieder sehen. Irgendwo unterwegs.
Quer durch die Sierra Gorda im Bundesstaat Querétaro
„Sierra Gorda un espacio de vida y esperanza” steht im Spezialreise-Heft. Übersetzt etwa: Das Gorda-Gebirge ein Raum von Leben und Hoffnung. Auf über hundert Seiten wird der nördliche Teil des kleinen Bundesstaates mit farbigen Bildern und Karten-Skizzen illustriert. Die Mex 120 führt als Hauptroute durch den nördlichen Teil. Verschiedene Abstecher in die weiten Seitentäler laden ein, um auf Entdeckungstour zu gehen, meist jedoch auf schmalen Naturstrassen. Von der grünen Landschaft geht es kurvenreich in die Höhe. Kurz vor Pinal de Amoles weist uns der Wegweiser Richtung Bucareli. Der kleine Ort, 22 km abseits von der Mex 120, mussten wir aber zuerst verdienen. Etwas mehr als drei Stunden Fahrt (4x4 im Geländegang) waren nötig, bevor wir einen Blick auf die Ruinen der „Misión de Bucareli“ werfen konnten.
Der Abstieg von über 1200 Meter war anspruchsvoll, besonders in den vielen engen, zum Teil sehr steilen, ausgewaschenen Kurven. Kaum eine Handvoll Fahrzeuge begegneten uns, dafür entdeckten wir kleinste Dorfgemeinschaften, wie angeklebt an den steilen Abhängen. Kleine Mais- und Bananenfelder schmückten die steinige, von Büschen und Bäumen durchsetzte Berglandschaft. Die Stromleitung deutete da und dort auf abgelegene kleine Häuser hin, wo wir kaum ein Wohnen und Leben vermuteten.
Wir befinden uns in Zentralmexiko. Die Gegend ist bekannt für ihre sehr schönen Franziskaner Klosterkirchen mit ihren prächtig verzierten Portalfassaden. Von der Misión de Bucareli aus dem Jahr 1776 und ihrer späteren Blütezeit können wir nur noch eindrückliche Kirchen- und Klostermauer-Fragmente in der Abendsonne bestaunen. In dieser Einsamkeit, nur erschlossen mit einem Feldweg, eine so grosse Ruinenanlage anzutreffen, überrascht uns. Welche Blütezeit muss da einmal geherrscht haben, dass hier so aussergewöhnliche Bauten im Niemandsland erstellt wurden. Wir können nur rätseln. Nachdenklich betrachten wir die drei brüchigen Glockentrümmer. Ja, wenn diese sprechen, statt läuten könnten. Was würden sie uns berichten?
Wir spazieren rund um den Ruinenkomplex der sich mitten in einer hügeligen Landschaft präsentiert. In den Unterlagen lesen wir, dass hier die Bibliothek einst ein Erbe von 460 Büchern zu den Themen kanonisches Recht in den Sprachen Latein, Griechisch und Spanisch beherbergte. Das älteste Werk wurde im Jahr 1779 geschrieben. Die Bibliothek gehört zur ältesten der Region. Wir fahren ein Stück zurück und übernachten auf einem kleinen Camping mitten zwischen den grossen Maguey-Pflanzen, eine von vielen Agavearten. Der Platz ist recht gut eingerichtet. Eine warme Dusche ist hier ein echter Luxus. Wir nehmen dankend an. Am späten Abend, der Mond erhellte schwach die Bergwelt, erblickten wir da und dort einzelne kleine Lichter, die darauf hindeuteten, dass in diesem abgelegenen Tal verstreut Menschen wohnen. Mit Bildern von den sehr einfachen Häusern und der noch einfacheren Lebensweise dieser Gegend lassen wir uns in den Schlaf wiegen.
Am nächsten Tag kurven wir hoch in die karge Hügellandschaft nach Xilitla. Das Bergdorf in subtropischen Klima liegt bereits im Bundesstaat San Luis Potosi. Das Dorf klebt buchstäblich an den bewaldeten steilen Abhängen und die Hauptstrasse zwängt sich kurvenreich durch den Ort. Bei der Dorfausfahrt sehen wir den Wegweiser „Las Pozas“ unser eigentliches Ziel. Mitten im Regenwald hat der Engländer und Multimillionär Edward James (1907-1984) eine kuriose Konstruktion von surrealen Fantasie-Gebäuden, Skulpturen, Kunstwerken mit verschlungenen Pfaden gebaut. Alles ist umschlungen von dichtem Grün.
Es wirkt bizarr, skurril, grotesk und ungewöhnlich! Eine Touristen- attraktion wo man unterwegs in den kleinen Becken unterhalb des Wasserfalles auch ein kühles Bad nehmen kann. Wir geniessen die Abkühlung mitten im Dschungel. Sicher sind die surrealen Beton- konstruktionen für den Kunstexperten eine Augenweide, doch der Park bietet auch für den Naturliebhaber eine Fülle von Überraschungen. Farbige Schmetterlinge in allen Grössen, Vögel, Käfer, Spinnen und anderes Kleingetier bereichern den Park ebenso, wie die reichhaltige Regenwald-Vegetation. Auf dem Rundgang kreuz und quer durch den Park kam keine Langeweile auf. Im Gegenteil, die vielen Fotosujets im dichten Dschungel liessen uns die Zeit fast vergessen.
Teotihuacán, die Stadt in der „die Götter geboren wurden“
Teotihuacán wurde nach einem sehr eigenwilligen städtebaulichen Plan gebaut. Seine Hauptachse ist die „Calzada de los Muertos“ (Strasse der Toten) an der sich die Sonnen- und Mondpyramide erheben. Teotihuacán war das bedeutendste Kulturzentrum und die grösste Stadt des alten Amerika. Man schätzt ihre Bewohner zur Blütezeit auf etwa 200'000, zwischen 200 und 500 n.Chr. Die Stadtfläche umfasste ca. 22 km2. Das innere Areal ist ca. 4 km2 gross, der Rest ist immer noch unerforscht und liegt in der umliegenden Umgebung. Ab etwa 650 n.Chr. begann ihr Einfluss zu schwinden, bis die Stadt um 750 schließlich aus noch nicht vollständig geklärten Gründen weitgehend verlassen wurde.
Die Azteken, die bei ihrer Einwanderung ins Hochland von Mexiko Teotihuacan als bereits seit mehreren Jahr- hunderten verlassene Ruinenstätte vorfanden, sahen in ihr einen mythischen Ort und benannten sie mit dem bis heute fortlebenden Namen Teotihuacán. Sie verstanden diesen Namen als „wo man zu einem Gott wird.“
Die Sonnenpyramide liegt im Zentrum Teotihuacáns. Mit einer Grundfläche von 222 mal 225 Metern, einer Höhe von gut 65 Metern sowie einem Volumen von rund einer Million Kubikmetern ist sie die drittgrösste Pyramide der Welt. Sie wurde um 100 nach Christus in einem Arbeitsgang errichtet und war damit das erste grössere Gebäude, das in Teotihuacán gebaut wurde. Die Pyramide wurde nach dem Lauf der Sonne angelegt, was das astronomisch-mathematische Wissen der Erbauer beweist.
Wir besteigen die steilen Stufen der Sonnenpyramide und staunen über die gewaltigen Ausmasse. Am Vormittag hält sich der Besucherstrom in Grenzen, sodass beim Auf- und Abstieg kein Verkehrs-Chaos herrschte. Der Ausblick auf die Umgebung ist grossartig. Der Blick auf die Mondpyramide, die sich am Ende der „Strasse der Toten“ befindet, beeindruckte uns ebenso, obwohl das Bauwerk bedeutend kleiner ist. Über die „Strasse der Toten“, die eine Gesamtlänge von 2 km hat, erreichen wir später die Mondpyramide mit ihren 12 Kultpyramiden umrahmten Mondplatz. Der noch steilere Aufstieg war nur bis zum zweiten Absatz offen, wo man 1998-2000 eine Grabkammer und vier menschliche Skelette und über 150 Beigaben entdeckte. Der Fund von 17 „craneos“, Totenschädeln von Geopferten, war eine grosse Überraschung. Wir blicken von der Mondpyramide auf die schnurgerade, ca. 40 m breite, Strasse der Toten, die durch mehrere kleinere Querbauten mit Treppen unterbrochen wird. Einzelne Abschnitte der Strasse dienten als Ballspielfelder.
Während der langen Zeit ihres Bestehens ist die Stadt durch den Anbau von Mehrfamilien-Wohnanlagen stetig grösser geworden. Die Innenhöfe und Wohnräume waren einst mit Wandmalereien dekoriert. Die Bewohner Teotihuacáns waren hervorragende Baumeister und Kunsthandwerker. Sie arbeiteten mit Werkzeugen wie Meissel, Poliergeräten oder geschliffenen Äxten und schufen erstaunliche Gegenstände aus Obsidian, dem Material, das der Stadt zu Reichtum und Macht verhalf. Im Museum sind viele Original-Funde ausgestellt. Ein riesiges Modell unter einem Plexiglas-Fussboden zeigt einen Einblick in die Grösse von Teotihuacán.
Die Quetzalcóatl-Pyramide
besuchten wir am späteren Nachmittag ein zweites Mal. Jetzt zeigten sich die eindrucksvollen Köpfe der „gefiederten Schlange“ und die prächtigen Flachreliefs zum Teil in der Sonne. Die „Quetzalcóatl“ und den brillen- gesichtigen „Tláloc“, den Gott des Regens, präsentieren sich abwechselnd an der Pyramidenseite der Treppe. Das aufgerissene Maul der Schlange zeigt mächtige Fangzähne und der Kopf tritt aus einem Blütenblätterkranz hervor. Über die ganze Länge erkennen wir eingemeisselte Schlangen und dazwischen sind Muschel- und Wasserschnecken zu erkennen.
Ursprünglich gab es auf allen vier Pyramiden- seiten insgesamt 366 Schlangenköpfe, die Anzahl der Tage eines Sonnenjahres, bzw. eines Schaltjahres. Rund um die Quetzalcóatl-Pyramide fand man Gräber und Skelette von 133 geopferten Männer und Frauen mit reichen Grabbeigaben. Vieles bleibt in Teotihuacán ein Rätsel, da es keine nachweisbaren Schriften gibt. Die über 3 m hohe Wassergöttin Chalchihuitlicue sahen wir später im Anthropologischen Museum in Mexiko Stadt. Eindrücklich!