Reisebericht Chile - Argentinien
- Paso Roballo -
NP Perito Moreno - El Chaltén - El Calafate - NP Los Glaciares (Argentinien)
Wir sind in Patagonien angekommen!
Wind, Wind und noch mehr Wind. Unser Reisemobil ist ein harter Gegner gegen diese Urgewalt. Mal drückt der starke Wind von rechts, mal von links und je nach Fahrrichtung sehen wir die lange Staubfahne im rechten oder linken Rückspiegel. Pech, wenn der kraftvolle Wind uns Frontal angreift. Geht es noch bergauf, müssen wir runterschalten und die Diesel- anzeige schickt uns Grüsse über den Mehrverbrauch. Dann kommen wir nicht mehr mit 9 – 10 Liter pro 100 Kilometer aus. Der Gegenwind verlangt ein bisschen mehr, er ist durstig. Einen Vorteil, aber auch einen Nachteil hat der Rückenwind.
Kommt er mit voller Wucht von hinten, kann ich den Fuss vom Gas nehmen und wir rollen gemütlich durch die Pampa. Auf der Gravelroad ist er ein Scheusal. Dann überholt er uns und schleudert eine dichte Staub- fahne direkt vor unsere Windschutzscheibe, wo auch unser Abblendlicht nichts ausrichten kann. Auf den Naturstrassen mit dem Wind im Einklang zufahren haben wir aufgegeben. Also schliessen wir mit der Urgewalt einen Pakt. Wir rollen langsamer und der Wind bringt weniger Staub nach vorne. Tja, in Patagonien hat der Wind das Sagen. Wenn er uns von der Strasse fegen will, nehmen wir den Fuss vom Gas. Stehend umkippen ist weniger gefährlich als bei Tempo 80.
Patagonien ist fast menschenleer. Eine grenzenlose Steppenlandschaft zieht an uns vorüber. Zäune beid- seitig der Strasse über viele hundert Kilometer sind den Guanakos ein Dorn im Auge. An mehreren Orten sehen wir, wie die Mütter mit ihren Jungen über den Zaun springen um von der Strasse weg- zukommen. Der Sprung über den Zaun schaffen aber nicht alle Tiere. Auf mehreren Wegstrecken entdecken wir tote Tiere, hängenge- blieben im engmaschigen Zaun, qualvoll verendet. An zwei Orten sehen wir nur noch das Fell, der Rest wurde von den Aasfressern bereits geholt.
Von Coyhaique (Chile) nach El Chaltén (Argentinien)
Im Supermercado in Coyhaique fühlen wir uns wie zuhause. Wir kaufen ein und bunkern Vorräte für die nächsten zehn Tage. Die Strassen Richtung Süden werden spärlich. Die Carretera Austral und die Ruta 40 bestimmen auf der Westseite die Hauptrichtung. Wir haben über 1200 Kilo- meter vor uns, davon 850 Kilometer auf Gravelroads und Wellblechpisten. Die kleineren Ortschaften liegen oft über 100 Kilometer auseinander und haben nur ein sehr beschei- denes Einkaufssortiment. Frischprodukte wie Fleisch, Obst und Gemüse sind auf solchen Strecken sehr rar. Wir verabschieden uns von Coyhaique und fahren auf der asphaltierten Strasse zum 300-Seelen-Dorf Villa Cerro Castillo. Ausgedehntes Weideland be- gleitet uns in den Süden. Vor vielen Jahrzehnten wurde hier grosszügig der Urwald gerodet. Gewaltige Waldbrände im letzten Jahrhundert richteten Schäden an, die noch über viele Generationen zu sehen sind. Unzählige angebrannte, verkohlte, grosse und dicke Baumstämme zeugen von einer schlimmen Vergangenheit.
In Villa Cerro Castillo liegen die schroffen Berge in der Abendsonne. Der Cerro Castillo, 2675 m, und die angrenzenden Bergketten zaubern eine Traum- kulisse in den blauen Himmel. In der breiten Fluss- landschaft sucht sich der Rio Ibáñez seinen Weg. Verzweigt in viele Nebenflüsschen mit zahlreichen Tümpeln ist er eine Augenweide. Der Blick aus dem Camper von unserem Übernachtungsplatz versetzt uns in eine Ferienstimmung. Tja, reisen in Patago- nien bedeutet nicht immer Erholung, besonders wenn wir tagelang auf schlechten Pisten unterwegs sind.
Am nächsten Tag besuchen wir das kleine Naturdenkmal „Manos de Cerro Castillo“. An einer grossen Felswand, die in Bodennähe über- hängende Felsvorsprünge über Jahrtausende gestaltet hat, bestaunen wir Felszeichnungen. Die historische Sehenswürdigkeit können wir mit einer Begleiterin besuchen. Für das kleine schmucke Dorf eine will- kommene Touristenattraktion, die auch etwas Einnahmen generiert. Auf dem kurzen Wanderpfad zur Felswand macht uns die Begleiterin auf die Pflanzenwelt aufmerksam. Der „Nire-Baum“ (Nothofagus antarctica), auch unter dem Fantasienamen „Südbuche“ bekannt, sticht uns ins Auge. Der Baum kann über 10 Meter hoch werden. Am gleichen Stamm befinden sich grüne und abgestorbene, dürre Äste.
Die Feinheit der zarten kleinen Blätter und der wilde, verdrehte, un- förmige Stamm sind sein Markenzeichen. Beim genaueren Betrachten dieser Bäume haben wir den Eindruck, als müsste diese Baumart täglich ums harte Überleben in der patagonischen Wildnis kämpfen. Unter dem Felsvorsprung zeigte unsere Begleiterin auf die 8'000 -10'000 Jahre alten Felszeichnungen. Die Ureinwohner haben eine Vielzahl von Händen an die Felswand gemalt. Dabei wurde die Hand auf den Felsen gelegt und rundherum mit roter Farbe eingefärbt. So erscheinen die Hände in der Felsfarbe. Sie sind für uns unregelmässig angeordnet.
Von der grossen senkrechten Felswand blicken wir auf den breiten frucht- baren Talboden, wo das kostbare Wasser des Rio Ibáñez seinen Weg sucht. Wir stellen uns vor, wie die Ureinwohner hier vor Jahrtausenden gelebt haben. Die „Manos de Cerro Castillo“ sind nicht eine grosse Attraktion. Doch gerade solche, eher unbedeutende Orte besuchen wir gerne. Der Kontakt mit den Einheimischen ist hier familiär und authentisch.
Auf einer landschaftlich reizvollen Schotter- piste folgen wir der Carretera Austral nach Westen und später Richtung Süden zum Lago General Carrera. Wir durchqueren Gebiete, wo die zahlreichen Wälder, resp. ihre Urwald- riesen, wie Leichen in der Landschaft stehen oder liegen. Ein trauriger Anblick, der dem Ausbruch des Vulkans Hudson im Jahre 1991 zuzuschreiben ist. Sein Aschenregen brachte Verwüstung und Zerstörung über grosse Gebiete in Patagonien. In Puerto Tranquilo direkt am See treffen wir wieder Elsbeth und Ruedi, die wir in San Carlos de Bariloche kennen lernten. Ihre Einladung am Abend zum Fischessen in ihrem tollen Reisemobil nahmen wir gerne an. Beide sind begnadete Angler. Was sie uns später auf unseren Teller legten, frisch geangelt und aus dem neuerworbenen Backofen serviert, war ein kulinarischer Hochgenuss. Nochmals vielen herzlichen Dank. Der Abend bleibt uns noch lange in guter Erinnerung.
Der Besuch zu den „Marmorkapellen“ mit interessanten Felsforma- tionen fiel ins Wasser. Für die Bootstour bemühte sich die Besitzerin noch andere Gäste aufzutreiben, doch ihre Suche blieb erfolglos. Dieses Jahr kommen weniger Touristen nach Puerto Tranquilo, meinte sie. Die sehr kleine Siedlung, schön gelegen am Lago General Carrera baut gerade eine neue Tankstelle. Sie versucht ihre Ferienlandschaft besser zu vermarkten. Ein Boot für zwei Personen ist uns zu teuer, da sechs Personen zusammen im Boot den gleichen Preis bezahlen.
Valle Exploradores – eine Stichstrasse führt zum Gletscher
Eine schmale Schotterpiste führt uns von Puerto Tranquilo rund 53 Kilometer in die Wildnis nach Nordwesten. Das einsame Tal wurde in den 1930 Jahren entdeckt und ist landschaftlich sehr schön. Das Tal ist wenig besiedelt. Ein Hauch von Abenteuer fährt durch unsere Knochen, als wir langsam und kurvenreich zum Lago Bayo hochfahren. Ein- samer geht es nicht mehr. Die stark bewaldeten Berg- flanken zeigen ein erschütterndes Bild.
Ganze Waldpartien sind grossflächig bis zu den höchsten Bergspitzen zerstört. Millionen von Bäumen stehen oder liegen ausgebrannt an den Berghängen und im Talboden. Die Frage nach der Ursache können wir später mit Thomas klären. Nach etwa 2,5 Kilometer besuchen wir einen sehr kleinen, typischen patagonischen Friedhof. Wir nehmen uns Zeit, verweilen und besichtigen die kleinen Holzhäuser, wo die Verstorbenen ihre letzte Ruhe finden. Eindrücklich wie liebevoll die Holzhäuschen innen wie aussen gepflegt und geschmückt sind. Die wenigen verstorbenen Talbewohner vergisst man hier nicht so schnell!
Mitten in der Wildnis besuchen wir beim Kilometer 44 das Campo Alacaluf, wo sich Katrin und Thomas aus Deutschland eine heimelige Unterkunft gebaut haben. Seit über 11 Jahren sind sie am Werk. Sie bauen alles selber mit Holz aus der Umgebung. Mit mehreren tausend Holzschindeln, alle von Hand hergestellt, haben sie die Aussenfassade des Hauses verkleidet. Zurzeit baut Katrin ein Restaurant, weitgehend alles von Hand, nur mit den einfachsten Einrichtungen, Werkzeugen und Maschinen. Zwei echte Pioniere, die mit harter Arbeit der Wildnis trotzen und für die Gäste Cabañas und Verpflegung anbieten. Wir verbringen eine Nacht auf ihrem Land, da man auch bei ihnen Campen kann und das exzellente Baño benützen darf. So verbringen wir am Abend ein paar Stunden in ihrem sehr gemütlichen Küchen- und Aufenthaltsraum und erfahren viel von ihren Pioniertätigkeiten der vergangenen Jahren.
Ihre hauseigene Wasserturbine für die Stromversorgung liegt 100 Meter höher in der Bergwand. Ihre Wasserquelle ist zertifiziert und als erstklassiges Mineralwasser bestätigt. Allein schon der Gedanke ans Einkaufen lässt uns erstarren. Die nächste Einkaufs- gelegenheit für ihre Herberge, sei es grössere Lebensmittel- vorräte für den Gastbetrieb oder Material für den Hausbau, liegt im rund 250 Kilometer entfernten Coyhaique. Tja, wenn man zum Einkaufen 500 Kilometer zurücklegen muss, ist ein peinlich exakter Einkaufszettel ein Muss! Wenn später einmal die Schot- terstrasse bis zur Bahía Exploradores am Elefanten-Fjord fertig erstellt ist, ist der Zugang zur Laguna San Rafael mit dem Gletscher nicht mehr weit. Dies würde den beiden Pionieren mehr Gäste bringen die dann Übernachten. Geführte Touren in der Umgebung sind eine weitere Einnahmequelle. Wer die Wildnis und die Einsamkeit sucht, liegt hier richtig, nur den Wanderweg durch den Dschungel muss er selber schlagen.
Nach weiteren acht Kilometern erreichen wir den Parkplatz von „El Puesto Expediciones Glaciar Exploradores“. Von dort führt uns ein halbstündiger Wanderpfad durch einen sehr schönen Regenwald zur Aussichtsplattform. Das Panorama auf den Exploradores-Gletscher ist nebelverhangen. Der Blick auf die grosse Gletscherlandschaft ist nicht farbig, aber trotzdem sehr eindrucksvoll. Auf dem Rückweg nach Puerto Tranquilo entdeckten wir an den steilen, bewaldeten Felswänden nochmals zahlreiche Regenwaldpflanzen. Diese Strecke am Nordrand des Patagonischen Eisfelds ist nur von wenigen Leuten besiedelt, die im Einklang mit der Wildnis leben. Im schmalen Flusstal gibt es nur sehr wenige Möglichkeiten die Strasse zu verlassen um am Rio Bayo Norte das Camp aufzuschlagen.
Am späten Nachmittag stellen wir unser Fahrzeug in mitten von fein duftenden, blühenden Lupinen-Büschen direkt am Lago General Carrera in Puerto Tanquilo ab. Der Duft durchdringt unsere Kabine und die farbigen Blütenstängel leuchten in der Abendsonne. Nur wenig entfernt hat sich eine Reisegruppe aus Europa mit mehreren Fahrzeugen zum Übernachten eingerichtet. Sie sind unterwegs nach Norden. Willi und Katrin aus der Schweiz entdecken unser Fahrzeug. Wir haben sie im August 2010 in Dawson City (Kanada) auf dem Camping kennengelernt. Nach über drei Jahren stehen unsere Fahrzeuge jetzt am Lago General Carrera. In ihrer grossen, schönen Reisemobilkabine verbringen wir einen tollen Abend, wo wir auf unser Wiedersehen anstossen. Gesprächsstoff hatten wir mehr als genug. Tja, und wie immer bei solchen Begegnungen erfahren wir Erfreuliches, aber auch uner- freuliche, tragische Erlebnisse, die uns zum Nachdenken stimmen. Unterwegssein auf der Weltkugel birgt ein Gefahrenpotential. Traurig nur, dass viele, gewalttätige Ereignisse von verbrecherischen Personen begangen werden und die Betroffenen lange, zum Teil sehr lange, darunter leiden.
Wir verlassen den kleinen Ort Puerto Tranquilo und rollen auf der Carretera Austral weiter Richtung Süden. Wir nehmen nicht die schöne Route entlang des langgestreckten Lago General Carrera nach Chile Chico. Der südlichste Grenzübergang für Fahrzeuge von der Carretera Austral nach Argentinien führt über El Man- zano, El Baño, Valle Chacabuco zum Paso Roballo. Diese Gegend ist nicht nur eine unberührte Schönheit wo wir sehr einsam unterwegs sind. Guanakos, die grössten Andenkamele, ziehen hier in grossen und kleinen Gruppen durch das langgezogene malerische Tal. Wir übernachten mitten in der traumhaften Landschaft etwas abseits der Naturstrasse.
Rundherum in sicherem Abstand grasen viele Guanakos und wir erfreuen uns an dieser prächtigen Tierwelt. Zahlreiche Jungtiere mit ihren Müttern ziehen an uns vorbei und suchen sich eine windgeschützte Geländevertiefung für die Nacht. Aus den Naturreservaten Jeinemeni und Tamango soll in dieser Gegend ein Nationalpark entstehen. Besonders auffallend ist, dass hier schon alle Zäune entlang der Strasse entfernt wurden und die Guanakos und andere Tiere ungehindert durch das Tal ziehen können.
Eine kleine Holzbrücke, beidseitig mit einer Tafel bestückt, schränkt den Durchgangsverkehr in diesem Tal für schwere Fahrzeuge ein. Nach dem Strassenschild darf die Brücke nur mit einer Tonne Gewicht befahren werden und wir fragen uns, welche Fahrzeuge sind leichter als 1000 Kilogramm. Der Fluss hat reichlich Wasser, eine Umfahrung im Gelände gibt es nicht. Wir blicken unter die Brücke und sind von ihrem Zustand wenig begeistert. Eingerissene Balken zeigen Spuren von Überbelastung und ihrem Alter nach, müsste man sie auswechseln. Der Lastwagen auf unserer Seite wird gerade mit kleinen Portionen Steinen beladen, die auf der anderen Brückenseite am Boden liegen. Tja, Steine und Lastwagen sind definitiv zu schwer für die alte Holzbrücke. Nach unserer Karte müssten wir einen Umweg von über 300 Kilometer unter die Räder nehmen um nach Bajo Caracoles zu gelangen.
Wir entscheiden uns für die zweite Variante. Regine geht zu Fuss über die Brücke, jetzt sind wir etwas leichter. Ein Ein- heimischer auf der Brücke nickt mit dem Kopf und deutet mit der Hand freie Fahrt an. Das Knarren der Holzbalken- konstruktion deutet auf den schlechten Zustand hin. Doch mit unserem Gewicht von etwa 3100 Kilogramm hat die Brücke erbarmen und lässt uns passieren.
An der Zoll- abfertigung herrscht beidseitig der Grenze gähnende Leere. Die Formalitäten sind zur Routine geworden. Die nächsten 100 Kilometer führen uns durch eine einsame, menschenleere Pampa zur Ruta 40. In Bajo Caracoles, ein trostloser Ort mit Tankstelle, einem kleinen Restaurant und Laden, bleiben wir nur eine Nacht. Am Einfahrtstor zum Campingplatz hängt ein altes Holzschild mit der Aufschrift „Cerrado“. Kein Wunder, hier bleibt niemand länger als nötig. Auch wir nicht! Wir fahren auf der Ruta 40 Richtung Süden.
Die Ruta 40 in Argentinien ist mit 5200 Kilometern die längste Nationalstrasse und gehört zum den längsten Strassen der Welt. Wir haben erst wenige Kilometer südlich von San Carlos de Bariloche auf ihr zurückgelegt, da wir auf Nebenrouten und auf der Carretera Austral in den Süden vorstossen. Die legendäre Strecke verliert aber zusehends jährlich ein bisschen von ihrem Reiz. Noch sind viele Teilstrecken in den Süden nicht asphaltiert. Die Baustellen reihen sich auf gewissen Strecken wie eine Perlenkette aneinander. Bei schlechtem Wetter sind die Schotter- und Naturpisten immer noch eine echte Herausforderung, die aber ein guter 4x4 Profi kaum aus der Fassung bringen kann. Über weite Strecken im Süden bietet die Ruta 40 nichts als langweilige Pampa. Beidseitig eingezäunt, an manchen Orten neu geplant und im Bau, führt sie durch die patagonische Steppe.
Nationalpark Francisco Perito Moreno
100 Kilometer südlich von Bajo Caracoles zweigen wir auf die Schotterpiste 37 ab, die uns in den Nationalpark führt. Er befindet sich im Nordosten der Provinz Santa Cruz. Die Stichstrasse führt uns über 90 Kilometer in eine interessante Landschaft. Türkis- und smaragdfarbene Seen, die von vegetationslosen grau- schwarzen Bergen eingefasst sind, über die gelblich-bräunliche patagonische Steppe, zeigt der Park ein breites Spektrum. Guanakos, Flamingos, verschiedene Fischarten und eine reiche Vogelwelt bevölkern den Park. Den Puma haben wir nicht gesehen, er ist eine äusserst seltene Spezies. Der Abstecher zum Lago Belgrano entpuppte sich als sehr windige Angelegenheit, so dass wir noch die 16 Kilometer bis El Rincón zurücklegten. Dort fanden wir einen besseren windgeschützten Übernachtungsplatz, der uns nur mässig und nicht saumässig in den Schlaf schüttelte. Der National- park darf man nicht verwechseln mit dem Gletscher Perito Moreno, der im Nationalpark Los Glaciares viel weiter südlich liegt.
El Chaltén – Capital Nacional del Trekking
Wir machen uns auf den Weg zum Nationalpark Los Glaciares „Zona Norte“. Das bekannte Bergmassiv mit dem Cerro Torre und dem Fitz Roy haben wir schon auf Bildern gesehen. Doch die ganze Land- schaft mit dem unverkennbaren Panorama, wo die besten Kletterer aus aller Welt die senkrechten Fels- wände bezwingen, wollen wir vor Ort dreidimensio- nal erleben. Noch haben wir einen steinigen, sandigen, staubigen und Baustellen verseuchten Reiseabschnitt vor uns. Es ist trocken, der blaue Himmel lädt zum Reisen ein, nur die schlimmen Schotterpisten auf der Ruta 40 mit ihren unbe- rechenbaren Schlaglöchern und Wellblechoberflächen vermiesen uns ein wenig das Unterwegssein. Zwischendurch sehen wir noch Spuren auf der Piste, wo bei Regen und im nassen Zustand die Fahrzeuge sich durchgequält haben. Sehr tiefe Reifenspuren im Schlamm, zum Teil noch mit Wasser gefüllt, zeigen uns ein Bild, dass es auf diesen Strecken noch viel schlimmer sein kann.
Wir nehmen Abschied vom Nationalpark Francisco Perito Moreno und fahren die Stichstrasse zur Ruta 40 zurück. Zahlreiche Guanakos, Nandus, Flamingos und andere Vögel suchten sich in kleinen Tümpeln und in der Pampa ihr Frühstück. Der starke Rückenwind reduzierte den Diesel- verbrauch. In Estancia La Verde biegen wir auf die neue breite Dammpiste ab, die irgendwann einmal einen Asphalt Belag erhalten wird. Am späten Abend, zwar immer noch taghell, erreichten wir Tres Lagos. Der Tageskilometer- zähler zeigt 351 Kilometer an. Normalerweise fahren wir ja zwischen 80 – 150 Kilometer pro Tag, mal mehr, mal weniger. Doch diese staubige Baustellenstrecke wollten wir so schnell wie möglich hinter uns bringen. Die schwarzen Wolken am Himmel erinnerten uns, dass es auf dieser Route auch ganz andere Strassenverhältnisse geben kann. Tres Lagos, der sehr kleine Ort hat einen Camping mit guten Baños und mit einem Restaurant. Vor dem Nachtessen standen wir lange unter der heissen Dusche und spülten uns den feinen Staub aus den Haaren. Hinter dem langen Restaurant- und Baños-Gebäude war es fast windstill, so dass wir beim Einschlafen nur noch die holperige, staubige Schotterpiste aus dem Kopf schütteln mussten. Morgen, ab Tres Lagos gibt es eine Teerstrasse bis nach El Chaltén. Dann gibt’s nur noch einen Gegner, der Wind!
Etwa 70 Kilometer vor El Chaltén treten zwei Engländer kräftig gegen den Wind in die Pedale. Ihr Fahrrad mit schwerem Gepäck bestückt kommt kaum vorwärts. Wir halten, plaudern, fragen wie es geht. Sie sind von Ushuaia nordwärts unterwegs. Zurzeit machen sie 7 Kilometer in der Stunde, mehr liegt nicht drin. Der Gegenwind ist zu stark. Die 70 Kilometer bis zum bekannten Touristenort El Chaltén schaffen sie heute nicht mehr. Die junge Frau zieht ihr Dreiecktuch vom Gesicht und meint ausdrucksstark: „Zweieinhalb Wochen täglich diesen Wind. Ich hasse den Wind“! Tja, wer mit dem Fahrrad in Patagonien unterwegs ist, braucht viel Kraft und Durchhalte- vermögen. Kommen noch Regen, Kälte und schlechte Schot- terpisten dazu, ist es besonders hart. Zwei Tage später treffen wir die sportlichen Velofahrer in El Chaltén wieder. Sie mussten nach unserer Begegnung ihr Igluzelt in der Nähe der Strasse aufschlagen und der starke Regen in der Nacht forderte sie nochmals heftig heraus. Der Gedanke selber ein bisschen mit dem Fahrrad unterwegs sein, liess uns nicht mehr los. Ein wenig Bikefeeling schnuppern, warum nicht?
Auf dem Camping El Relincho in El Chaltén richten wir uns für die nächsten Tage ein. Der schöne Platz mit recht guter Infrastruktur am Rio de Las Vueltas hat Trennwände aus Holz, die den starken Wind mässigen, so dass Zelte und Reisemobile weniger dem Wind ausgesetzt sind. El Chaltén setzt voll auf Tourismus und vermarktet ihre Traumlandschaft mit den bekannten Klettertürmen. Es gibt ausgedehnte Wanderwege die gut markiert sind. Im schön eingerichteten Infozentrum der Parkwächter am Eingang des Dorfes verschaffen wir uns einen ersten Überblick. Schnell wird uns klar, bei gutem Wetter bleiben wir mehrere Tage in dieser schönen Umgebung. Hotels, Restaurants, Sportgeschäfte, Touranbieter, Läden, alles in reicher Auswahl, und oft noch, für argentinische Verhältnisse, stilvoll gestaltet. Beim Dorf- eingang sieht man die obere Hälfte der spitzen Zacken, die den Tourismus täglich wachsen lässt. Nur was die Internettechnik betrifft, ist der Touristenort in der Steinzeit verblieben.
Die erste kleine Wanderung führt uns zum Mirador de los Cóndores und de las Aguilas. Mit jedem Schritt bergauf, zeigt sich das Fitzroy-Massiv prächtiger. Zwar noch etwas wolken- und nebelverhangen, doch es ist ja noch lange nicht Abend. Dass man in Patagonien am einem Tag gleich vier Jahreszeiten erleben kann, ist bekannt. Die Wetterprognosen für die nächsten paar Tage sind gut. Der Mirador wird seinem Namen gerecht. Nicht nur die fantastische Aussicht auf das Kletterparadies ist grossartig, auch die grossen Andenkondore fliegen in der auf- steigenden Luft ihre Runden. Vom hinteren Aus- sichtspunkt las Aguilas blicken wir auf den grossen Viedma-Gletscher, der sich bis zum gleichnamigen See hinunter erstreckt.
Nach einem Ruhetag packen wir unsere Rucksäcke und machen uns auf den Weg zur Laguna Torre. Die angegebenen drei Stunden Wanderzeit für den Hinweg überbieten wir um eine halbe Stunde. Kleine und grössere Gruppen mit vollgepackter Bergsteiger-Ausrüstung überholen uns fast im Laufschritt. An den schlanken hohen Rucksäcken sind Seile, Eispickel und andere Utensilien festgebunden. Tja, wer die Torres bezwingen will, muss das gute Wetter nutzen. Der Wanderweg führt uns durch eine sehr schöne, abwechslungsreiche Landschaft, die auch mit einzelnen Waldpartien ihren Reiz hat. Als wir über die Lagunenkrete wanderten, blies uns der Wind hart ins Gesicht. Die Aussicht auf die Laguna Torre mit ihren grossen Eisbrocken im See und dem Glaciar Grande bot fast ein Kalenderbild, nur der blaue Himmel setzte sich nicht vollständig durch.
Nach der 7-stündigen Wanderung stehen wir in El Chaltén im Patagonia Travellers Hostel und melden uns für die Bike Tour an. So fahren wir am nächsten Tag mit einem Tourbus und acht anderen Bikern zum 37 Kilometer entfernten Punta Sur am Lago del Desierto. Von hier aus können Backpackers und Velofahrer mit einer kleinen Fähre ihre Reise Richtung Villa O’Higgins (Chile) fortsetzen um vom südlichsten Ende der Carretera Austral gegen Norden zu fahren. Für Fahrzeuge ist diese Strecke aber nicht möglich.
Wir stellen an den sehr guten Bikes die Sattelhöhe ein und drehen die ersten Runden. Die Bike-Tour wird angepriesen unter dem Motto: „Wir bringen dich zum Lago del Desierto und der Wind schiebt dich nach El Chaltén zurück“! Tönt gut! Unser Tourguide erinnert uns daran, dass wir uns genügend Zeit für die Rückfahrt nehmen sollen. Laut Prospekt schaffen es die Schnellsten in 90 Minuten. Wir machen uns auf den Weg und blicken von einer kleinen Anhöhe auf den schönen See. Die Strasse führt uns durch eine grossartige Flusslandschaft. Beidseitig begleiten uns hohe Bergketten, zum Teil noch schneebedeckt. Nun 37 Kilometer sind ja keine lange Strecke. Aber auf dieser harten, groben Schotterpiste dämpft auch die gut gefederte Vordergabel nicht alles ab und so werden wir ganz gewaltig durchgeschüttelt.
Von den 24 Gängen genügen uns fünf. Die Strecke ist mehrheitlich flach, etwa acht kleinere Steigungen zwangen uns zum Herunter- schalten. Nach zwei Stunden vibrieren und schütteln legten wir eine Picknickpause ein und gönnten den Armen und den Hintern eine Ruhe- pause. Jetzt bekamen wir zu spüren, was es heisst, mit dem Fahrrad in Patagonien unterwegs zu sein. Wir hatten ja kein Gepäck, der Wind schob uns zurück und nach ein paar Stunden war unser kleines Aben- teuer beendet. Wochenlang mit schwerem Gepäck auf den schlechten Schotterpisten gegen den Wind ankämpfen, ist wirklich eine sehr harte Leistung. Nur mit viel Ausdauer, Kraft und Kondition, vermischt mit einem starken Durchhaltewillen, lässt sich eine solche Veloreise durchziehen. Gegen den Abend erreichen wir El Chaltén. Regines Schlusskommentar konnte ich kaum überhören: „Jetzt habe ich für ein ganzes Jahr Buße geleistet, auf solchen Schotterpisten steige ich nie mehr auf’s Bike“. Alles klar, bis zur nächsten Velotour!
Parque Nacional Los Glaciares
Perito Moreno Gletscher
Von El Chaltén fahren wir auf einer guten Asphaltstrasse in den Süden des National- parks Los Glaciares. El Calafate, ein Touris- tenort am Südufer des Lago Argentino, ist Ausgangsort für den Besuch zum bekannten Gletscher. Der Perito Moreno Gletscher liegt 75 Kilometer von El Calafate entfernt. Kurz nach 8 Uhr sind wir am Parkeingang und kaufen die Tickets. (130 Peso, ca. SFR 13.- p.P.) Wir haben Wetterglück. Wolken und blauer Himmel wechseln sich ab. Eine Stunde später stehen wir vor der mächtigen Eiswand, die sich etwa 50 – 80 Meter über der Wasserlinie des Lago Argentino erhebt. Die gesamte Gletscherbreite können wir vor Ort nicht auf einem einzigen Foto festhalten, die Dimensionen sind zu gross. Auf der linken Seite (Brazo Rico) ist die Kalbungsfront 2,1 Kilometer, auf der rechten (Canal de los Témpanos) 2,3 Kilometer breit.
Die breite Gletscherzunge ist sehr beeindruckend und strotzt von Urkräften. Die gewaltige Eismasse schiebt die breite Gletscherzunge im zeitlupentempo zum See. Das bläulich schimmernde Eis mit den zackigen Spitzen bricht in unberechenbaren Abständen krachend in die Tiefe. Eis- brocken in unterschiedlicher Grösse donnern in den See und lösen kleine Flutwellen aus. In der Mitte der Gletscher Front ist die Kalbungsgeschwindigkeit am grössten. Ausserge- wöhnlich, dass sich die riesige Eismasse pro Tag bis zu zwei Meter bewegt und dadurch an seiner Gletscherzunge in kurzen Zeitabständen Eisabbrüche verursacht. Der etwa 30 Kilometer lange Gletscher schiebt gewaltige Eismassen vor sich her. Die vorderste Gletscherfront stösst an das gegenüberliegende Ufer des Lago Argentino an der Magellan-Halbinsel. Auf einer Flugaufnahme können wir die gebogene, etwa 4,4 Kilometer lange Gletscherfront aus der Vogelperspektive bestaunen. Von der Halbinsel aus blicken wir direkt an die Gletscherfront die uns zum Greifen nah erscheint.
Auf zahlreichen Laufstegen und Aussichtsplattformen be- wundern wir immer wieder den langgestreckten, breiten Gletscher und die senkrecht abbrechende Eiswand. Wir verbringen mehrere Stunden vor Ort. Wir hören, spüren und lassen diese gewaltigen Urkräfte auf uns einwirken. Meist dringt zuerst ein krachendes Geräusch an unser Ohr. Dann blicken wir in die Richtung und sehen noch die letzte Phase des Eisabbruchs und die Flutwellen. Wir staunen und versuchen diese Gletscherbewegung zu begreifen, die über Jahrtausende ein faszinierendes Naturschauspiel zele- briert. In Anbetracht dieser gewaltigen, fliessenden Eis- masse, die sich zurzeit ständig erneuert, und dem Gletscherende, das sich im zeitlupentempo auflöst, kommen wir uns ganz klein vor. Werden und Vergehen in eisiger Kälte! Ein eindrückliches Erlebnis, das wir nicht so schnell vergessen.